Alle Beiträge von Onytjungur

Wenn dein Herz schweigt

(C) Ragnar Ómarsson

stille entfloh mit dem wind gegen norden
blumen bedeckten mit erdreich ihr herz
menschen ergötzten sich gähnend am morden
und seelen verschmorten in sengendem schmerz

liebe erstickte in dröhnendem lachen
wärme verkroch sich fröstelnd in’s laub
augen, die mahnend sonst frieden bewachen
bedeckten verzweifelt sich selber mit staub

männer erdrückten selbst kinder zum schweigen
frauen ergaben sich lärmendem spiel
völker ertranken in wirbelndem reigen
und worte verdorrten  – sie galten nicht viel

Die Macht der Vorstellungskraft, um begrenzende Erzählungen zu überwinden

Titel: Nachruf auf die Leere
Autor: Yamen Hussein
ELIF Verlag
ISBN: 978-3-946989-36-3
18 €, 120 Seiten

​Vorab sei angemerkt, dass Hinweise darauf, wodurch dem Dichter, Mathematiker und Journalisten Yamen Hussein der Ausbruch aus der Leere gelang, dem Haptiker vorbehalten sind. Der Gedichtband kann beim ELIF-Verlag problemlos online bestellt werden. Dieser Versuch einer Betrachtung beschäftigt sich nur mit den Hinweisen des Dichters auf die Ursachen der Leere.

Im März 2021 publizierte der ELIF-Verlag mit dem Gedichtband “Nachruf auf die Leere” Gedichte von Yamen Hussein, ins Deutsche übersetzt von Leila Chammaa und Jessica Siepelmeyer. Bereits der Titel des Gedichtbands lässt aufhorchen: Was wird hier unter dem Begriff “Leere” verstanden? Das Nichts, ein Begriff, zu welchem die Philosophen viele Bedeutungsaspekte im Lauf der Jahrhunderte diskutieren? Oder das Gefühl einer Person, nichts zu haben, was sie erfülle? Bedeutet “Nachruf” nicht einen Text über einen Verstorbenen?  Vermutlich beantwortet das Gedicht “Geburtsurkunde” die offene Frage:

Geburtsurkunde

Natürlich erinnere ich mich nicht an meine Hebamme, die meinen Kopf aus einem Dunkel ins nächste gezogen hatte.

Es wäre in Missverständnis und ein grober Irrtum, die Aussage des Autors über das Dunkel nach seiner Geburt dahingehend auszulegen, seine Gedichte wären Ergebnisse  eines Flüchtlings, der vor einem autoritären Regime geflüchtet sei. Dies würde seine Selbstaussage als Lüge hinstellen, der zufolge Poesie für ihn sehr wichtig für die Entwicklung des Selbst ist. Er studierte Mathematik und schrieb Gedichte, welche nur für ihn persönlich waren, zum einen durch die Tür der Mathematik, weil er die formelhafte Natur der Mathematik genieße, zum anderen durch die Tür des Journalismus, wobei er an das „Wer, was, wo“ verschiedener Erfahrungen in seinem Leben dachte. Zudem betrachtet er die Einstufung als „Flüchtling“ als problematisch und verweist zu Recht darauf, dass auch Thomas Mann ein Flüchtling war, sich allerdings niemand sich an ihn als „deutscher Schriftsteller“ oder „Flüchtlingsschriftsteller“ erinnert.

Yamen Hussein bekannte in einem Interview, dass er für kein beabsichtigtes Publikum schreibe, sondern ehrlich gesagt nur sich selbst schreibe. Wenn es sich nun nach der Selbstaussage des Verfassers der Gedichte so verhält, dass seine Gedichte nicht auf eine Außenwirkung zielten, sondern für ihn selbst persönlich gedacht sind, da solches wichtig für die Entwicklung des Selbst – und die Lektüre der Gedichte erlaubt nicht den geringsten Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Selbstaussage -,  läge dann nicht die Schlussfolgerung nahe, dass das Dunkel die Ursache der Leere sei und die Poesie in Form eines Nachrufs dieses Dunkel nach und nach ans Licht bringe, mit anderen Worten: Ein Weg, um Hoffnung zu stiften, da – wie der Autor darlegt – Poesie uns in eine andere Welt versetze, uns die Kraft zu lieben, zu fühlen und zu lachen gebe? Da laut Albert Einstein Mathematik auf ihre Art die Poesie logischer Gedanken ist und der Autor seine Gedichte auch durch die Tür der Mathematik schrieb, und da der Autor dabei nicht auf Außenwirkung aus war, besteht die Hoffnung, etwas über jene Transformationen zu erfahren, welche im Stillen stattfinden, über die Macht der Vorstellungskraft, begrenzende Erzählungen zu überwinden.

Graciela Selaimen schrieb in ihrem Aufsatz “Beyond Impact and Scale: Affection as Living Transformation”: „Wir leben in der Illusion, Erfolg werde in Likes, Shares und Follower-Zahlen gemessen. Dieselbe Besessenheit von „Wirkung“ führt auf individueller Ebene zu Versagensängsten. Es ist die Logik „je sichtbarer, desto besser“ – selbst wenn Sichtbarkeit nicht unbedingt Verbindung, Tiefe oder echte Transformation bedeutet. Likes sagen nichts über Zuhören aus. Engagement ist nicht unbedingt Beziehung. Und Viralität ist oft nur Lärm. Und wenn wir zulassen, dass diese Maßstäbe bestimmen, was wertvoll ist, laufen wir Gefahr, das Wesentliche zu verlieren: Sorgfalt, Zeit, gegenseitige Einbindung – die Art von Transformation, die im Stillen, in den unterirdischen Netzwerken lebender Prozesse stattfindet.“

Jedoch, was ist unter dem Terminus „begrenzende Erzählungen“ zu verstehen?

Tauschhandel

Oh Land der aufgereihten Leichen,
ich gebe deine Ethnien, Nationen, Fahnen, Religionen her
für einen Schuh, den ich trage auf einem endlosen Weg
ohne Blick zurück.

Marina Babl schrieb in ihrem Beitrag zu dem Gedichtband „Siebzehn Minuten“ über die Gedichte von Yamen Hussein: „Innerhalb von 17 Minuten könnte man außerdem, wenn man es darauf anlegt und sich beeilt, den schmalen  Gedichtband von Yamen Hussein einmal von vorne bis hinten komplett durchlesen. Oder auch nur ein Gedicht daraus und sich das Gelesene im Kopf zergehen lassen, die Worte sacken lassen, nachdenken. Denn das Ungesagte wiegt in diesem Band schwerer als die wenigen, wohlplatzierten schwarzen Buchstaben.

Da Yamen Hussein in einem Interview darauf hinwies, dass er Gedichte auch durch die Tür des Journalismus schreibe und dabei an das „Wer, was, wo“ denke, ist davon auszugehen, dass er nicht nur zu präzisen Aussagen befähigt ist, sondern darüber hinaus auch in der Lage ist, die Frage „Was ist X“ zu beantworten, also die Essenz von „X“  zu erklären. Sind es doch oft Ausdrücke des allgemeinen Gebrauchs, die zur allgemeinen Währung der Kommunikation geworden sind, über deren Definition oder Erklärung sich die Menschen keine Gedanken machen, obschon diese nur verbale Statthalter sind und diese dazu verwendet werden, um zu suggerieren, einer wisse wovon er redet und spricht, als hätte er bereits alles begriffen. So erscheint zum Beispiel der Begriff „Nation“ im Verbund mit Aussagen über so unterschiedliche Begriffe wie Souveränität, Territorium, Grenze, Regierung, etc. Der Begriffsname signalisiert jedoch, dass hier noch Fragen offen sind, demnach Vorsicht und Verantwortung geboten ist, und Misstrauen angebracht ist gegenüber jene, welche zu verstehen vorgeben, was tatsächlich noch nicht begriffen worden ist.

Es ist davon zu lesen, dass Begriff, Ausdruck, Bedeutung und Definition in engem Zusammenhang stünden, da sie alle Aspekte der sprachlichen Repräsentation und Erfassung von Konzepten betreffen. Ein Begriff sei eine gedankliche Einheit, die durch einen Ausdruck, also eine sprachliche Form (Wort oder Wortgruppe), repräsentiert werde, die Bedeutung eines Ausdrucks sei jenes, was er bezeichne, also die Vorstellung oder das Konzept, das er hervorrufe, und eine Definition sei eine präzise Erklärung der Bedeutung eines Begriffs, die seine wesentlichen Merkmale herausstelle. Wenn dem so ist, liegt folgende Schlussfolgerung nahe:

Die Annahme, der Dichter beziehe sich mit dem Satz „Oh Land der aufgereihten Leichen“ nur auf sein Herkunftsland und nicht auf alle Länder, ist daher ein Irrtum, was an dem Plural des Wortes „Nation“ unschwer zu erkennen ist. Es gibt keinen allgemein anerkannten Begriff der Nation, was auf dessen ausschließlich legitimierender Aufgabe zurückzuführen ist, um die Gegenwart zu rechtfertigen. Handelt es sich doch bei dem Begriff „Nation“ nicht um etwas von Natur aus Gegebenes, sondern um etwas geschichtlich Gewordenes. Es muss einer schon jeden Geschichtsunterricht verschlafen haben, um nicht zu wissen, dass jene Gebilde, welche sich „Nation“ nennen, in der Regel aus drei Ereignissen heraus entstanden sind: Entweder haben sich abhängige Kreaturen einer Person unterworfen, welche ihre Familienangelegenheiten oder persönlichen Ansprüche dazu nutzten, ihre auf solche Art und Weise entstandenen „Untertanen“ auszusenden, damit sich diese in sogenannten Schlachten gegenseitig ermorden, oder eine Horde an Dieben und Mörder massakrierten die Bevölkerung eines Landes in einem Genozid, pferchten die Überlebenden in Reservate und stahlen deren Land. Da dies noch nicht genug, setzten sich bezüglich der noch übrig gebliebenen Länder Personen zusammen, zeichneten auf Landkarten Linien mit einem Bleistift bei Ländern, welche nicht die eigenen waren, nannten diese Linien „Grenze“ und teilten die auf solche Art und Weise entstandenen Gebilde unter sich auf.

Zudem fällt auf, dass es sich bei den weiteren Wörtern der Aufzählung um gar keine Begriffe handelt, sondern nur um Erfindungen, welche aus begrenzenden Erzählungen hervorgewürgt. So gibt es zum Beispiel bei dem Wort „Religion“ keine allgemeine Definition, bei dem Wort „Ethnie“ gibt es noch nicht einmal einen Gegensatz, da es sich dabei nur um Konzepte einer Selbstzuschreibung oder Fremdzuschreibung handelt, welche nur dazu nützlich, um das Identische, Gemeinsame als Unterschiedliches zu brandmarken.

Galgen

Die Grenzen deines Landes schlängeln sich,
sehen .auf der Karte aus
wie eine Schlaufe, in die ein Kopf passt.
Wirst du gefragt, Flüchtling,
aus welchem Land du kommst,
dann antworte:
Vom Hinrichtungsplatz
umgeben von Henkerländern.

Auf Grundlage der Aufzählung jener Wörter, welchen gar kein Begriff zugrunde liegt, da es an deren Definition mangelt, also einer präzisen Erklärung der Bedeutung der aufgezählten Wörter, und angesichts der Realität, welche jedem bestens bekannt sein dürfte, so er des Lesens, Hörens und Verstehens mächtig, präzisiert der Dichter die begrenzende Erzählung „Nation“ anhand wesentlicher Merkmale folgerichtig durch die gedankliche Einheit „Henkerland“.

Was bei den in der Aufzählung angegebenen Wörtern von den Gesellschaften als vorhandenes Wissen ausgegeben, entpuppt sich bei sorgfältiger Analyse der Fakten tatsächlich nur als Glauben, also einer Haltung der persönlichen Zustimmung, gepaart mit einer positiven Einschätzung, was den Dichter dazu nötigt, auch die Definition des Wortes „Glauben“ richtigzustellen, also jenes, was gutzuheißen ist und was nicht gutzuheißen ist:   

Vision

Begehe die Erde behutsam,
sie spiegelt deinen Körper.
Unterwirf dich nicht –
Weder Gott, den Eltern noch einer Idee.
Glauben bedeutet zu lieben, nicht unterworfen zu sein
und nicht zu unterwerfen.

Disput mit Gott

Wenn Kinder geboren werden,
ihren ersten Erfolg haben,
den ersten Milchzahn bekommen,
das erste Wort sagen,
wenn sie sterben
durch Hunger, eine Kugel, abgereichertes Uran
heben wir sie hoch
vor Freude und Trauer,
als Beweis für deine Existenz,
aus Protest gegen dich.

Spätestens mit diesem Gedicht wird deutlich, dass sich die Feststellungen des Dichters nicht auf sein Herkunftsland beziehen. Ist es doch nachweislich nicht sein Herkunftsland, welches bei den Kriegen im Irak, in Syrien und Bosnien abgereichertes Uran verwendete, sondern jene Länder, welche auch weiterhin darauf bestehen, Uranmunition einzusetzen, was dazu führte, dass die „Nationen“ USA, Großbritannien, Frankreich und Israel im Jahr 2015 die 6. UN-Resolution zur Ächtung der DU-Waffen ablehnten.

Ferner wird daraus ersichtlich, dass dem Dichter auch noch der Unterschied zwischen den drei Weltreligionen und dem Monotheismus bekannt ist. Legitimieren sich doch alle drei Weltreligionen durch den Satz „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“ im ersten Buch der Thora, dem Buch Genesis, so als hätte da ein Bäcker ein Brot hergestellt. Was deren Klerikern ermöglichte, sich zwischen dem Bäcker und das Brot zu schieben, also zwischen jenem, von dem sie behaupten, es habe sie hierzu aufgefordert, und ihren Mitmenschen, um über diese Anmaßung nach Gusto ex cathedra – also kraft „höherer Entscheidungsgewalt“ – durch „Auslegung“ bestimmen zu können, sich dazu sogar in dem Wahn befindend, dafür die Gebote des Bäckers ignorieren zu dürfen. Diese Anmaßung als solche erkennend, wendet sich der Dichter in seinem Protest – an die Backstube.

In einem Brief an einen Freund schrieb der Dichter: „Lassen wir uns das Exil als Versuch begreifen, unsere Erfahrung zu bereichern und unsere Sensibilität für menschliche Probleme weiterzuentwickeln. Dies sind als Erstes die Gerechtigkeit, als Zweites die Freiheit und als Drittes die Liebe und Solidarität.“ Dies ist ihm zweifelsfrei vortrefflich gelungen.

Die Welt der Nicknameplates

Der Troll Ferðamaður besuchte nach einer ausgiebigen Reise in ferne Länder seinen Freund auf dessen Stein oberhalb von Hnifsdalur.

Jarðnafn : Velkomin um borð, Ferðamaður!Ich bin gespannt, welche Neuigkeiten du diesmal mitbringst.“

Ferðamaður: „Die Leute reden wieder miteinander.“

Jarðnafn: „Erstens ist dies keine Neuigkeit, da diese ständig plappern, dem Vernehmen nach können diese noch nicht einmal in einem Lesesaal die Klappe halten, oder im Zug, obschon ihnen gegenüber oder daneben niemand sitzt, und Zweitens stelle ich bei meinen Besuchen dort unten in der Stadt fest, dass die Leute nunmehr in aller Öffentlichkeit laute und nicht enden wollende Selbstgespräche führen.“

Ferðamaður: „Da hast du wohl den kleinen Knopf im Ohr übersehen, mein Guddster.“

Jarðnafn: „Upps, seit wann produziert die Firma Steiff auch Menschen, noch dazu ohne Fell und mit  automatisiertem Bewegungsapparat?“

Ferðamaður: „Dumpfbacke, das sind Menschen, die mit einem Gesprächspartner via einer App reden.“

Jarðnafn: „App? Eine Abkürzung für Applaus?“

Ferðamaður: „Nein, eine Anwendung auf einem Smartphone, welche für Unterhaltungen zugelassener Teilnehmer angeboten wird. Es wird damit nicht nur um  Bestätigungen geheischt, sondern ist auch ein Eldorado für geistigen Sondermüll, da jeder sich hinter Nicknameplates verstecken kann.“

Jarðnafn: „Du meinst Pseudonym.“

Ferðamaður: „Um Himmelswillen, nein! Dies setzte Eigenleistungen künstlerischer Werke voraus. Davon kann nicht die Rede sein, lese einer deren Sermon. “

Jarðnafn: „Also ein Traduktionym?“

Ferðamaður: „Auch nicht. Oder ist dir ein Land bekannt, in welchem es den Namen Ruhig Blut, Dr. McSchreck, MySharon, Worst Case, etc. geben könnte?

Jarðnafn: „Solche Länder gibt es noch nicht. Was ist eigentlich ein Traduktionym?“

Ferðamaður: „Ein Beispiel. Irgendeine Dumpfbacke soll unsere Unterhaltungen heimlich aufgezeichnet und diese veröffentlicht haben.“

Jarðnafn: „Ist mir bekannt. Allerdings murkste er herum, indem er unsere Gespräche in Fremdsprachen übersetzten ließ, unsere Namen aber nicht.“

Ferðamaður: „Nun, bekanntlich gibt es Nationen, welche die Relevanz einer Person aus dessen Rolle herleiten, im Gegensatz zu Nationen, welche die Relevanz einer Person aus dessen Persönlichkeit ableiten.“

Jarðnafn: „Ist mir geläufig. Du meinst, damit wurde er wenigstens unserer Auffassung gerecht, dass Rollen nur  zusätzliches, nichtssagendes und daher unnötiges Beiwerk? Hätte er auch unsere Namen übersetzt, wäre offenkundig geworden, dass unsere Namen nur Rollennamen sind …“

Ferðamaður: „… was sicherlich einen Aufschrei bei den betreffenden Rollen hervorgerufen hätte …“

Jarðnafn: „Wenn nicht sogar einen Shitstorm, womit seit dem Zeitalter der digitalen Gesprächsforen unweigerlich zu rechnen wäre. Hier hingegen wird Rollen keine Beachtung beigemessen, so dass kein Aufschrei zu erwarten war.“

Ferðamaður: „Falls er nicht gleich konvertiert und zu den Schwachsinnigen gezählt werde, wie der Autor Guðbergur Bergsson bezüglich einer anderen Fähigkeit trefflich bemerkte.“

Jarðnafn: „Also ein Geonym.“

Ferðamaður: „Kennst du Orte, welche nurmalso, isnedwohr, ichsemichse, etc. heißen?“

Jarðnafn: „Ich bin schon weit gereist und ich kann sagen, dass es diese Ortsnamen auf diesem Planeten nicht gibt. Also gut. Es handelt sich also dabei um die Verwendung von Nicknameplates. Gibt es eine Definition zu diesem Wort?“

Ferðamaður: „Nun, nach jahrelanger Durchsicht zahlloser Kommentierungen in verschiedenen Zeitschriften – ein neuer Service der Zeitschriften bei Internet-Auftritten -, wäre festzustellen, dass es sich bei den Nicknameplates zum Einen nicht um sogenannte Spitznamen oder ironische Namen handle. Bei der Lektüre der zahllosen Einlassungen wird allerdings verständlich, aus welchem Grund diese nicht unter einem Klarnamen in die Öffentlichkeit gepustet werden.“

Jarðnafn: „Du meinst wohl gepostet“

Ferðamaður: „Keineswegs, denn dies setzte eine Nachricht voraus, welche einem zugestellt wäre. Meine Erfahrung war dahingehend, dass Repliken in den seltensten Fällen eine Nachricht enthielten, oder dass auf ein Argument wenigstens auch nur annähernd eingegangen worden wäre. In der Regel handelte es sich dabei um sogenannte Wichtigtuer, die eines Tages bei sich feststellten, dass sie für die Allgemeinheit nichts Brauchbares beizutragen haben und nun die Kommentarmöglichkeiten der Gazetten dazu nutzen, ihren dabei entstandenen Frust abzubauen, indem sie irgendeinen zusammenhanglosen Sermon absondern.“

Jarðnafn: „Ich wüsste da einen Dichter, der dieses Phänomen kürzer zusammengefasst hatte.“

Ferðamaður: „Lass hören.“

Jarðnafn stellte sich in Positur und rezitierte:

Im Biergarten

Wörterkolonnen betäuben,
vom Klirren der Gläser
gehetzt durch die Lampions,
die Nabelohren der Nacht.

(Autor: Werner Friebel)

Zugefallen

Der Troll Trúleysingi kehrte nach einer langen Reise aus der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft zurück und besuchte seinen Freund Sameind auf dessen Stein unweit von Laugafell.

Sameind: „Velkominn, Trúleysingi. Hvernig líður þér í dag?“

Trúleysingi: „Die wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft hat sich weiterentwickelt zum Transhumanismus.“

Sameind: „Genügte ihnen nicht, was sie bereits an grobem Unfug bei Äpfel und Rosen angerichtet haben?“

Trúleysingi: „Wie meinen?“

Sameind: „Nun, den Äpfeln wurden die Polyphenole entfernt, da diese mit Polyphenolen zu schnell braun wurden. Um dies zu verhindern, wurden die Polyphenole entfernt, was dazu führte, dass der Genuss von Äpfeln zwar nicht mehr wie vordem vor Allergien schütze, dafür aber nun allergische Reaktionen hervorrufen könne. Bei den Rosen wurden die Duftstoffe entfernt, da diese die Rose dazu anrege, ihre Knospe zu öffnen, womit die Rose sich bereits bei einem langen Transport öffnen würde und nicht erst danach.“

Trúleysingi: „Weit gefehlt, es wird etwas ganz anderes darunter verstanden. Es geht ihnen – so ist zu lesen – um eine philosophische Denkrichtung, welche die Grenzen menschlicher Möglichkeiten, sei es intellektuell, physisch oder psychisch, durch den Einsatz technologischer Verfahren erweitern möchte.

Sameind: „Haben sie die Grenzen menschlicher Möglichkeiten bei den Äpfeln und Rosen nicht schon genug erweitert?“

Trúleysingi: „Der Zufall und die Intelligenz will es nunmal so, denn alles beruht auf Zufall und Intelligenz.

Sameind: „Soso. Somit stelle sich mir zuvorderst die Frage, ob  den Begriffen Zufall und Intelligenz eine Bedeutung beigemessen werden könne und welcher Art diese sein könne.“

Trúleysingi: „Die typische Antwort eines Analphabeten.“

Sameind:  „Gemach, gemach. Die Vielzahl an Gattungen ist doch offensichtlich für jeden, welcher sehen und/oder berühren kann. Du stimmst mir zu?“

Trúleysingi: „Der Sinn ist daran zu erkennen, dass Lebendes sich ernähren müsse, und die Gattungen es ermöglichen, dass sich Lebendes von Lebendem ernähre. Auch der Ursprung des Lebenden auf diesem Planeten ist  bekannt: die schwarzen Raucher.“

Sameind:  „Es wäre Unsinn, etwas anderes zu behaupten. Allerdings wäre mit diesem Unterfangen schnell ein Ende gewesen, wären die Protonen, Neutronen und Elektronen nicht nach einem Meeting – das der Zufall einberief und an welchem dann in Folge alle Atome des Universums zusammen kamen, um darin zu beschließen, sich in Zukunft zu sogenannten Molekülen zusammenzuschließen, welche in Folge in der Lage wären, diverse Gattungen ausformen zu können -, wären also alle Protonen, Neutronen und Elektronenauch in diesem Meeting nicht auch noch auf die seltsame Idee gekommen, dass solche Art und Weise entstandenen Gattungen – gemeint ist jedes Exemplar der diversen Gattungen -,  möglicherweise nach seiner Entstehung – so es nicht als Speise für eine andere Gattung verwendet wurde – wieder in seine Bestandteile zerfallen könnte, womit Schluss mit lustig wäre für dieses nicht verspeiste Exemplar, was ja auch für die verspeisten Exemplare sichtbar gelte.“

(c) Zen&Senf

Trúleysingi: „Was soll dieser Unfug?“

Sameind: „Nun, bekanntlich gab es an jenem Zeitpunkt, an welchem die gesamte Materie des Universums sich an einem einzigen Punkt zusammenfanden…“

Trúleysingi: „… als am Urknall …“

Sameind: „… eine Übereinkunft aller Atome …“

Trúleysingi: … gesetzt den Fall, die Materie bestand damals bereits in der Form von Protonen, Neutronen und Elektronen …“

Sameind: „… eine Übereinkunft dahingehend, ….“

Trúleysingi: „… was Einstimmigkeit voraussetze, denn im anderen Falle wäre es keine Übereinkunft …“

Sameind: „… dass angesichts dieser Aussicht auf eine Zukunft -welche ja durchaus möglich wäre, sollten sich die Protonen, Neutronen und Elektronen zu Molekülen zusammenschließen, welche in Folge in der Lage wären, diverse Gattungen ausformen zu können –, dies ja nur von kurzer Dauer wäre, abhängig davon, wie lange die zukünftig zu erzeugenden Exemplare der Gattungen wieder in ihre Bestandteile zerfielen.“

Trúleysingi: „Worauf willst du hinaus, Tröll Dummkopf?“

Sameind: „Nun, es  dürfte bei dem  Meeting, an welchem alle Atome  des Universums zusammen kamen, folglich den Protonen, Neutronen und Elektronen vermutlich klar geworden sein, dass spätestens in dem Augenblick, in welchem alle nicht verspeisten Exemplare diesen Punkt erreicht hätten, dieser Zirkus damit auch für alle Zeiten vorbei wäre. Oder etwa nicht?“

Trúleysingi: „Ich verstehe immer noch Bahnhof.“

Sameind: „Sicherlich, es bleibt weiterhin unbekannt, welches Proton, Neutron oder Elektron zuerst die Idee hatte, dass der Beschluss,  die einzelnen Exemplare an Protonen, Neutronen und Elektronen sollten sich zu Molekülen zusammenschließen, welche in der Lage wären, Exemplare zu diversen Gattungen herzustellen,  die anderen Gattungen als Nahrung dienen, nur dazu führen würde, dass der Spuk nach absehbarer Zeit zu Ende wäre. Denn in Zeit gemessen, bestünde ja die Möglichkeit, dass der Zusammenschluss diverser Moleküle zu einem Exemplar einer Gattung nicht ewig dauern könnte, womit alles zu Ende, ob nun als Nahrung herangezogen oder nicht. Möglicherweise hatten sogar alle Protonen, Neutronen und Elektronen gemeinsam als Kollektiv diese Vermutung.“ 

Trúleysingi: „Du meinst, die Menge aller Protonen, Neutronen oder Elektronen des Universums müssten bei dem Zusammentreffen im Urknall …“

Sameind: „… auch noch eine Regelung dahingehend einstimmig vereinbart haben, dass es nicht genügen würde, täten sich die Moleküle zu Beginn ihrer Evolution zu Exemplaren der einzelnen Gattungen zusammen, da bei einem solchen Beschluss ein immerhin mögliches Ende der einzelnen Exemplare nicht einbezogen wurde, es daher erforderlich wäre, den einzelnen  Molekülen, welche gedenken, sich zu einem Exemplar einer Gattung zusammenzufinden, dass diese schon von vornherein soweit Intelligenz haben müssten, dass auch noch zwei Arten der Gattung auszubilden wären, sowie einen Vorgang dergestalt, der zu dem Ergebnis führe, dass aus beiden ein neues Exemplar entstünde, bevor die beiden den Löffel abgeben.“      

Trúleysingi: „Eine Eigenschaft, über welche alles Lebende verfügt, also alle Pflanzen, Tiere und Menschen. Ziemlich viel Holz für Protonen, Neutronen und Elektronen, meinst du nicht?“

Sameind: „Wieso ich? Ich setze nur um, was du für Zufall und Intelligenz ausgibst. Ich hatte auf meiner Reise Kinder einen interessanten Reim  singen gehört. Magst du mit mir gemeinsam den Reim singen?“

Trúleysingi fasste Sameind bei der Hand und beide tanzten einen Reigen um den Stein:

Wieso, weshalb, warum
wer nicht fragt, bleibt dumm.
.“

Wenn ein Esel die Postkutsche ersetzt

Sendandi erreichte im Tungurdalur seinen Freund þiggjandi am Ende des Pfades, welcher entlang des Bunárfoss den Berg hinaufführt.

þiggjandi: „Willkommen zuhause. Wie war dein Skiurlaub? Alle Knochen noch heil?“

Sendandi: „Stelle dir vor, du schickst ein Weihnachtsgeschenk mit der Post dort unten, bezahlst für diese Leistung mit deinen mühsam erworbenen isländischen Kronen, erwartest du dann, dass für das Entgelt dein Weihnachtsgeschenk auch ankommt, dass die Leistung erbracht wird und dein Päckchen an den Empfänger ausgeliefert wird und dieser das Weihnachtsgeschenk erhält?“

þiggjandi: „Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wird für eine Leistung bezahlt, so ist diese auch zu erbringen. Ich muss mir deswegen keinen Kopf machen, denn Posturinn dort unten ist ein seriöses und verantwortungsbewusstes Unternehmen. Warum erzählst du mir das? Hast du keinen Friseur? Das ist doch allen längstens bekannt.“

Sendandi: „Offensichtlich hat sich diese Selbstverständlichkeit aber noch nicht überall herumgesprochen. Verhält es sich nicht so, dass mittlerweile jeder Postversand elektronisch erfasst wird, teilweise sogar vollautomatisch bearbeitet, demnach die Post zu jeder Zeit nachweisen kann, wann und wo ein Päckchen bearbeitet wurde?“

þiggjandi: „So ist es. Seit dem Zeitalter, in welchem Päckchen mit Postkutschen transportiert wurden, hat sich vieles geändert. Dein Päckchen ist demnach nicht angekommen? Nun ja, was ist zu erwarten von Wesen, welche einen Fortschritt darin sehen, dass sie keinen Schlüssel mehr umzudrehen brauchen, um die Tür ihres Autos zu öffnen oder zu schließen. Sie nehmen ja auch klaglos hin, dass ihre Arbeitgeber trotz Einsatz einer vollautomatischen Lohnabrechnung und vollautomatischem Zahlungsverkehr geschlagene zwei Wochen benötigen, um den Lohn oder das Gehalt dem Mitarbeiter auf sein Bankkonto zu überweisen. Dort unten gibt es ein Gesetz, welches die Arbeitgeber verpflichtet, dass Lohn und Gehalt am ersten Werktag des Folgemonats dem Mitarbeiter auf seinem Bankkonto gutgeschrieben sein muss.“

Sendandi: „Jæja, ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, als ich als 12-jähriger in den Schulferien bei einem Bauunternehmer in einem Ferienjob arbeitete. Jeden Samstag hatte ich mit einem Taschenrechner die Lohnabrechnung für die Bauarbeiter durchzuführen, Bruttolohn, Sozialversicherungsbeiträge, Lohnsteuer, Nettolohn. Der Unternehmer eilte währenddessen zur Bank, um das Geld für den Wochenlohn zu holen, welchen die Sekretärin dann mitsamt dem Lohnstreifen in die Lohntüte packte, denn Punkt 12 Uhr Mittag standen die Bauarbeiter vor dem Fenster Schlange, um ihr Bares für Wahres abzuholen. Hast du eine ungefähre Vorstellung davon, wie die Sache ausgegangen wäre, hätte ich die Lohnabrechnung nicht bis spätestens 12 Uhr Mittag fertiggestellt und damit die Lohnauszahlung verhindert?“

þiggjandi: „Jæja, Zeiten ändern sich.“

Sendandi: „Was würdest du dazu sagen, sollte ein Päckchen für den Transport bei einer Entfernung von – sagen wir mal 500 km –  sage und schreibe vier Wochen benötigen?“

þiggjandi: „Dass wohl eine Postkutsche durch einen Esel ersetzt worden ist. Bei 28 Tagen müsste ein Esel ungefähr pro Tag 18 km zurücklegen, das dürfte für einen Esel zu schaffen sein. Was soll die Frage? Posturinn benötigt für diese Entfernung von Isafjörður nach Kevlavík gerade mal einen Tag. Sollte das Päckchen in das Ausland transportiert werden, ist dabei sogar die Zollabfertigung inbegriffen.“

Sendandi: „Meine Rede handelt auch nicht von Posturinn dort unten. Was würdest du dazu sagen, dass du im Falle, das Päckchen wurde bei dem Transport gestohlen oder sei sonstwie abhanden gekommen und du dafür Abhilfe verlangst, dafür ausgelacht wirst, wolltest du einen Diebstahl bei der Polizei zur Anzeige bringen und von der Post dein Entgelt zurückverlangen, da dieses Ansinnen von Regierung, Behörde und Staatsbürgern als nicht normal angesehen wird?“

(c) DHL

þiggjandi: „Dass es sich dabei wohl um gesegnete Ignoranten handeln dürfte, welche solcherlei Erfahrungen dem allgemeinen Lebensrisiko zuordnen. Wie kann es eigentlich zu solchen Ereignissen kommen? Es verhält sich doch mittlerweile so, dass jeder Postversand elektronisch erfasst und teilweise sogar vollautomatisch bearbeitet wird, demnach die Post jederzeit nachweisen könne, wann und wo ein Päckchen bearbeitet wurde und verschwand.“

Sendandi: „Nun, das ist zweifellos zutreffend. Allerdings verhält es sich in jenem Land so, dass diese Informationen nur dann herausgegeben werden, wenn der Absender dafür einen nicht unerheblichen Betrag extra bezahlt. Mit einer weiteren Extrazahlung würde ihm auch der Schaden ersetzt werden, welcher dem Absender durch den Verlust des Inhalts entstanden ist.“

þiggjandi: „Du willst mir erzählen, dass ich dort einen Diebstahl oder Verlust ohne Erstattung meines Verlustes und Rückerstattung meiner Bezahlung für eine nicht erbrachte Leistung hinzunehmen habe, sollte ich zwar für die Leistung nur die üblichen 16 € bezahlt haben, nicht jedoch 30 € für eine zusätzliche Versicherung und eine Sendungsverfolgung? Wie kommt´s? Die haben doch ohnehin alle Nachweise und sind auch verantwortlich für den Verlust, so dass es eine Selbstverständlichkeit wäre, bei dem Kunden für eine nicht erbrachte aber bezahlte Leistung in vollem Umfang geradezustehen?“

Sendandi: „Vermutlich handelt es sich bei der zusätzlichen Zahlung von 14 € um eine Art Schmerzensgeld für die Post, da diese damit ihre Empathie für Diebe und Schlamperei in den eigenen Reihen hintanstellen muss.“

þiggjandi: „Wohl eher dafür, die Esel zu mästen, welche diese Praxis eingeführt haben. Verhält es sich doch so, dass selbst bei Gemeinschaften, welche von der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft einst irrtümlich primitive Völker genannt wurden, es eine Selbstverständlichkeit war und ist, für eine bezahlte Leistung die Leistung auch zu erbringen und Dieben keinerlei Privilegien zu gewähren.“

Sendandi: „Nun, diese Naturvölker haben ja auch nach Ernst Haeckel keinen Evolutionsprozess durchlaufen, der eine Höherentwicklung darstelle, womit es sich bei diesen Völkern nur um lebende Fossilien handle, welche aus verschiedenen Gründen stehengeblieben seien. Ich hoffe doch, dass du nicht das Grautier meinst, welches in vielen Ländern zuverlässig seine wertvolle Arbeit verrichtet?“

© fernsuchtblog.de

þiggjandi: „Darauf kannst du wetten, dass ich nicht dieses Grautier meine.“

Sendandi: „Na, dann steht ja nichts im Wege, jenen Eseln, welche diese seltsame Praxis einführten und klaglos hinnehmen, ein kleines Liedchen zu gönnen. Magst du?“

þiggjandi fasste Sendandi bei der Hand und beide tanzten einen Reigen auf dem Stein:

(20) Habgierig schlüpfrig
und ohne Acht
erfrisst er sich Ärger,
oft erntet Spott
wer zu anderen kommt
mit eines dummen Menschen Ranzen

 (20) Gráðugur halur,
nema geðs viti,
etur sér aldurtrega.
Oft fær hlægis
er með horskum kemur
manni heimskum magi. 1)

1) Anm.: Vers 20, „Hávámál og Völuspa“, Gísli Sigurðsson, Svart á Hvítu, Reykjavik 1986

Die Dunning-Kruger-Effekt-Pandemie

Ónytjungur: „Na, ist deine Arbeit endlich erledigt?“

Jólasveinn: „Alles im grünen Bereich. Dankenswerterweise gibt es diesen Brauch nur hierzulande und nicht anderenorts.“

Ónytjungur: „Wieso? Hast du alle Kartoffeln bereits hier verbraucht?“

Jólasveinn: „Keineswegs, aber anderenorts hätte eine Kartoffel im Schuh nicht gereicht, ich hätte einen ganzen Sack Kartoffeln darin deponieren müssen. Das wäre mir zu beschwerlich gewesen bei meinem Rücken.“

Ónytjungur: „Nun ja, vermutlich wären die Schuhe herfür auch viel zu klein gewesen. Aber aus welchem Grund gleich einen Sack voll Kartoffeln? Hier genügt doch auch bereits eine einzige Kartoffel.“

Jólasveinn: „Wie du weißt, legen die Leute hier größten Wert auf eine präzise Sprache. schätzen gute Literatur über alles, erhalten sogar Philosophieunterricht an Grundschulen, sind sehr gebildet und haben daher ihre Politiker gut erzogen …“

Ónytjungur: „… und sollten die Politiker dennoch einmal aus dem Ruder laufen, werden sie solange mit dem Lärm von Topfdeckeln und Pfannen malträtiert, bis diese freiwillig die Flucht ergreifen, alles bekannt …“

Jólasveinn: „… und Betrüger schleunigst das Land verlassen …“

Ónytjungur: „… auch das ist bekannt, sie gehen freiwillig in die Verbannung …“

Jólasveinn: „… und für den Fall, wie wollten sich wieder heimlich ins Land schleichen, werden deren Konterfeis in die Männer-Pissoirs geklebt, damit sie ein jeder sofort erkenne. Allerdings sind solche guten Sitten nicht in allen Ländern üblich, dort liegt es daher sehr im Argen.“

Ónytjungur: „Ich staune und hoffe, du schilderst es mir auf eine Art und Weise, so dass auch ich es verstehen könnte.“

Jólasveinn: „Was würdest du zum Beispiel von einem Wissenschaftler halten, der dir allen Ernstes vorschlägt, dein Knie operieren zu wollen, da dies dich davor schützen würde, dass du Windpocken bekommst und damit andere ansteckst, später dir erklärt, dies würde allerdings nur für einen begrenzten Zeitraum Abhilfe schaffen, um dann noch nachzuschieben, diese würde allerdings auch nicht verhindern, dass du andere mit Windpocken anstecken könntest?“

Ónytjungur: „Dass es sich dabei wohl um einen Versicherungsvertreter handeln müsse, denn die versprechen einem auch gerne das Blaue vom Himmel vor Vertragsabschluss.“

Jólasveinn: „Was würdest du ferner von Politikern halten, denen in dem Moment, in welchem das Staatsvolk dringend der Hilfe bedarf, ihre Machtposition dahingehend nutzen, durch geschickte Geschäfte Millionenbeträge der stattlichen Hilfe sich selbst zuzuschustern?“

Ónytjungur: „Gibt es dort keine Strafgesetze?“

Jólasveinn: „Was würdest du von Behörden halten, welche Jahre zu der Feststellung benötigen, ob ein Produkt, welches vor Erkrankung schützen soll, überhaupt schützt, oder es sich dabei nicht vielmehr um ein wertloses Produkt handelt, welches zwar teuer eingekauft, allerdings nur vorgibt, dass es schützen würde, dies jedoch wissentlich nicht tut?“

Ónytjungur: „Gibt es dort auch kein bürgerliches Gesetzbuch, welches den Geschädigten ermögliche, umgehend Schadensersatzforderungen einzutreiben?“

Jólasveinn: „Du weißt ja, es gibt dort kein Recht, kein Gesetz, nur Schriftsätze. Zu guter Letzt, was würdest du von Medien halten, welche anstelle investigativer Recherche es lieber vorziehen, tagein, tagaus mit gefälligen Fragen einem ausgewählten Kreis von Selbstdarstellern eine Bühne zu bereiten?“

Ónytjungur: „Darf ich raten? Die amerikanische Schwatzbude namens ‚Talk-Show’“?“

Jólasveinn: „Ich frage dich allen Ernstes: Würde bei all jenen eine einzige Kartoffel reichen?“

Ónytjungur: „Nun, das Staatsvolk wird diesen sicherlich wie hier üblich sehr schnell zeigen, wo der Bartl seinen Most holt.““

Jólasveinn: „Du vergisst, sie entbehren dort der hier üblichen Erziehung und Bildung, welche zu Selbstverantwortung und Freiheit führt.“

Ónytjungur: „Möglicherweise ist die Ursache in der Staatsform zu finden.“

Jólasveinn: „Ob Diktatur, Monarchie, mittelbarer Mehrheitsentscheid, sie unterscheiden sich darin keinen Deut. Auffallend ist, dass sich allesamt vor Jahrhunderten einem Schichtenmodell unterwarfen, an dessen Spitze ein Führer thronte, der par ordre du mufti befahl – sei dieser Führer nun klerikal, weltlich oder gleich beides -, darunter lag eine privilegierte Schicht aus Speichelleckern oder Aufmüpfigen, allgemein als Aristokratie bezeichnet, als Bestherrschaft angesehen, schließlich die abhängigen Kreaturen der letzten Schicht, die jeglichen Rechts beraubt.“

Ónytjungur: „Was kam deiner Ansicht nach dabei heraus?“

Jólasveinn: „Eine Melange aus sechs Typen. Da wäre zum Beispiel der gehorsame Typ.“

Ónytjungur: „Du meinst jenen, der zu allem Ja und Amen sagt, ohne dass ihm daraus ein Zweifel erwachse?“

Jólasveinn: „Es gäbe da auch noch den duldenden Typ.“

Ónytjungur: „Er sagt zwar zu allem Ja und Amen, obschon er still darunter leidet?“

Jólasveinn: „Nun, es gibt auch den ablehnenden Typ.“

Ónytjungur: „Er widerspricht, lässt aber Unbeteiligte unbehelligt?“

Jólasveinn: „Ganz im Gegensatz zum beschuldigenden Typ.“

Ónytjungur: „Der zwar nicht widerspricht, allerdings Unbeteiligte beschuldigt.“

Jólasveinn: „Das Schlusslicht bildet der gehirnlose Typ.“

Ónytjungur: „Aha, er weigert sich also und beschuldigt Unbeteiligte.“

Jólasveinn: „Den autarken Typ, der dort unten im Tal die Mehrzahl stellt, findest du dort nur noch selten, wegkonditioniert durch Jahrhunderte währende bittere Erfahrung am eigenen Körper.“

Ónytjungur: „Du zeichnest ein düsteres Bild, mein Freund.“

Jólasveinn: „Nun, es wurden ihnen Wege aufgezeigt, um sich darin zurechtzufinden.““

Ónytjungur: „Als da wären?“

Jólasveinn: „Zwei amerikanische Wissenschaftler, die Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger, beruhigten im Jahr 1999 die händeringend nach einem Ausweg suchende wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft im ‚Journal of Personality and Social Psychology‘ mit einem Artikel, demzufolge jeder der gegnerischen Seite zurecht vorwerfen könne, diese sei nicht nur inkompetent, sondern auch aus Dunning-Kruger-Gründen außerstande, dies  einzusehen.“

Ónytjungur: „Verhält es sich nicht vielmehr so, dass selbst das zurückhaltende Ergebnis aus der Originalveröffentlichung mittlerweile widerlegt wurde? Das Experiment sei zwar reproduzierbar und der Effekt trete tatsächlich auf, er ließe sich allerdings auch dann hervorrufen, falls man das Experiment weglässt und die Ergebnisgrafik aus Zufallszahlen erzeuge, denn in Wirklichkeit kann niemand die eigene Kompetenz korrekt einschätzen.“

Jólasveinn: „Jæja, gamli minn. Das erinnert mich an jenes Ereignis, als ein Mensch in seiner Badewanne saß und das Telefon klingelte. Der Mann stand also auf, eilte zum Telefon, nahm den Hörer ab und hörte die Stimme eines Mannes.“

Ónytjungur: „Und weiter?“

Jólasveinn: „Die Stimme am Telefon teilte mit, er führe gerade eine Meinungsumfrage durch und seine erste Frage an den Angerufenen im tropfenden Bademantel wäre, ob dieser wegen einer Meinungsumfrage aus seiner Badewanne steigen würde.“

Ónytjungur: „Ist es nicht seltsam, dass je mehr einer das Ursache-Wirkungs-Prinzip abstreitet, also die Kausalität, umso mehr er in Korrelationen sein Heil sucht?“

Jólasveinn: „Wen wundert es dann noch, dass sie sich darüber laufend in Widersprüche verstricken? Magst du ein Lied mit mir singen?“

Ónytjungur fasste Jólasveinn bei der Hand und beide tanzten einen Reigen auf dem Stein:

„Seitdem man begonnen hat,
die einfachsten Behauptungen
zu beweisen, erweisen sich viele
von ihnen als falsch.

Manche Menschen würden eher
sterben als nachdenken.
Und sie tun es auch.“ 1)

1) Bertrand Russell


Requiem der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft

Ónytjungur kam nach einer langen beschwerlichen Reise zurück zu seinem alten Freund Aldavinur.

Aldavinur: „Willkommen, alter Freund. Was weißt du neues zu berichten aus der Welt der Wesen?“

Ónytjungur: „Wie du weißt, gab es in der Vergangenheit das Gegensatzpaar Betriebsblindheit und Querdenker.“

Aldavinur: „Ist mir geläufig.“

Ónytjungur: „In der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft wurden diese eindeutigen Begriffe nun in eine Art Dreisatz umgewandelt.“

Aldavinur: „Dreisatz?“

Ónytjungur: „Ja, was vordem ein Breitmaulfrosch, wird nun  Querdenker genannt …“

Aldavinur: „… aber innerhalb von Anführungszeichen …“

Ónytjungur: „… mag sein, jedoch wer achtet heutzutage noch auf das Kleingedruckte, der gute Ruf ist damit endgültig ruiniert, und was einstmals Betriebsblindheit, ist nun aufgeklärter Mensch genannt.“

Aldavinur: „Will sagen, der ehemals Querdenker genannte Typ ist ausgestorben?“

Ónytjungur: „Nicht vollständig, es soll noch solche geben, welche zu systematischer und umfassender Untersuchung fähig. Dir dürfte ja der Unterschied zwischen Generalist und Spezialist geläufig sein.“

Aldavinur: „Nun, der Spezialist dringt in die Tiefe, weiß daher von immer weniger immer mehr, bis er von nichts alles weiß, hingegen der Überflieger von immer mehr immer weniger weiß, bis er von allem nichts weiß.“

Ónytjungur: „Allerdings ist sich die wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft nunmehr darin einig, ihre eigene Totenmesse abzuhalten.“

Aldavinur: „Sie gedenkt ihrer selbst in einer Missa pro defunctis, einer Messe für die Verstorbenen? Aus welchem Grund, sie lebt doch noch?“

Ónytjungur: „Wie du weißt, gibt es einen Unterschied zwischen der scheinbaren Welt und der realen Welt.“

Aldavinur: „Wie meinen?“

Ónytjungur: „Nun, wenn ich zum Beispiel eine Zigarette schmauche, dann ist die Welt für mich persönlich in Ordnung, mein Körper hingegen sieht das nicht so.“

Aldavinur: „Was willst du mir damit sagen?“

Ónytjungur: „Dass bereits dieses Beispiel zeigt, dass es eine scheinbare Welt und eine reale Welt gibt. Die Frage ist nur, in welcher sich einer aufhalten möchte.“

Aldavinur: „Schön und gut, und in welcher möchte sich die wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft aufhalten?“

Ónytjungur: „In der scheinbaren Welt.“

Aldavinur: „Es scheint also der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft, dass sie verstorben sei.“

Ónytjungur: „Das genaue Gegenteil ist der Fall, sie sieht sich in ihrer Blütezeit. Demokratie und Wissenschaft hätte sie emporgehoben aus den Niederungen primitiver Völker und ihre Welt mit Wohlstand und Freiheit angefüllt.“

Aldavinur: „Ist dem nicht so?“

Ónytjungur: „Das kommt auf den Blickwinkel an. In der realen Welt wäre einer sofort zu den Schwachsinnigen gezählt werden, würde er solchen groben Unfug behaupten, in der scheinbaren Welt hingegen erfreut er sich dem zustimmenden Nicken abhängiger Kreaturen, was er irrtümlich als Bestätigung auffasst, statt Ausdruck vorhandener Betriebsblindheit.“

Aldavinur: „Soso.“

Ónytjungur: „Den Gazetten – vormals Quelle faktenbasierter Informationen, auf professioneller Recherche beruhend -, war aufgefallen, dass die Leser am liebsten jenen Gockel hören, der am lautesten kräht …“

Aldavinur: „… was er gewöhnlich auf einem Misthaufen tut …“

Ónytjungur: „… und da die Masse durch faktenbasierte Information zu einer mentalen Leistung aufgefordert wird, welche unter dem Begriff Differenzierung zusammengefasst, daher sehr schnell die Lust verliere,  abwinke, und zu mehr zugänglicheren Themen flüchte …“

Aldavinur: „…  die Sensationslust ist dem aufgeklärten Menschen heilig …“

Ónytjungur: „… daher sich die Gazetten genötigt sahen, die nächste Sensation mit so genannten Schlagzeilen rauszuhauen …“

Aldavinur: „… nach dem Credo ‚Mutter zerstückelte ihre Kindern, BILD sprach zuerst mit den Frikadellen‘, bestens bekannt …“

Ónytjungur: „…  statt die Breitmaulfrösche es unter sich aushandeln zu lassen …“

Aldavinur: „… was aber als Unterdrückung von Meinungsfreiheit aufzufassen wäre, wie du weißt …“

Ónytjungur: … was allerdings eine Behauptung, die grober Unfug ist, Es gibt zwar das Recht auf freie Meinungsäußerung, von einer Pflicht, auf diese auch einzugehen, ist mir nichts bekannt, und da die Informatik den Breitmaulfröschen hierzu vor etlichen Jahren extra Foren wie Twitter und Instagram geschaffen hatte, auf denen sie sich ihren geistigen Müll gegenseitig um die Ohren hauen können  …“

Aldavinur: „… wohl eher um die Augen …“

Ónytjungur: „… demnach Foren, welche unter Missachtung der Definition des Adjektivs sozial, was bekanntlich eine gemeinnützige, hilfsbereite und barmherzige Handlung bezeichne, in einer kaum noch zu überbietenden Hybris ausgerechnet Soziale Netzwerke genannt wurden, so dass keinem ein Schaden daraus entstehe, folglich bräuchten die Gazetten gar nicht mehr den Sermon der Breitmaulfrösche zu verbreiten, welcher geboren aus Aufregung und Gegenaufregung.“

Aldavinur: „Womit aber die Behauptung nicht erklärt, die wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft sei sich darin einig, ihre eigene Totenmesse abzuhalten, geschweige denn, was der Unterschied sei zwischen scheinbarer Welt und realer Welt.

Ónytjungur: „Gemach, gemach. Verhält es sich nicht so, dass unabhängig vom Herrschaftssystem, nenne sich dieses nun Monarchie, Diktatur oder Demokratie – wobei unter den Wort Demokratie die Aufforderung zu verstehen ist, es habe sich die Nation dem Mehrheitswillen zu unterwerfen, unabhängig davon, von welchem Wahn die Mehrheit gerade heimgesucht werde -, Menschen zu Abertausenden ermordet werden?     

Aldavinur: „Es ist nicht zu leugnen, dass bei einem Vergleich des Verhältnisses der Summe an Getöteten, die im Namen des Guten und im Namen des Bösen ihr Leben verloren, mehr Sorge angebracht wäre wegen jener, die nicht als Verbrecher angesehen.“

Ónytjungur: „Es wird auch kolportiert, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln; demnach der Kulminationspunkt im Übergang von der Dummheit zur Aufregung.“

Aldavinur: „Ist es doch die erstrebenswerte Aussicht selbst, welche die Einsicht verhindert.“

Ónytjungur: „Weiterhin, trifft es zu, dass im Verhältnis zur Gesamtheit der Weltbevölkerung  die überwiegende Mehrheit um das Existenzminimum zu kämpfen hat, während einige Leute, welchen unverständlicherweise auch noch Achtung widerfährt, nicht mehr wissen wohin mit all dem Vermögen, welches sich diese angehäuft haben, sich in das Weltall mit Raketen schießen, sich Jachten zulegen, welche mehr einem Kreuzfahrtschiff gleichen als einer Jacht?“  

Aldavinur: „Sozialneid, willst du hier dem Kommunismus oder Sozialismus die Stange halten?“

Ónytjungur: „Keineswegs. Ist es doch gerade der Ismus, der eine an sich vernünftige Idee ins Unvernünftige überführt. Neige ich zu Glaubenssystemen, handelt es sich nicht dabei um eine Landenge, welche zu beiden Seiten von Wasser begrenzt? Vielmehr wäre eine Kleptokratie zu konstatieren, welche von einer Ochlokratie als notwendiges Übel geduldet. Wären diese Ignoranten im Weltall geblieben, es wäre kein Schaden für die Menschheit entstanden.“

Aldavinur: „Zugegeben, die Analogie ist frappierend, allerdings handelt es sich bei einer Landenge um einen Isthmus und nicht um einen Ismus. In aller Regel handelt es sich bei einem Ismus um eine Idee, einen realen komplexen Sachverhalt durch Simplifizierung dahingehend zu nutzen, um sich selbst via Indoktrination in die Position des Herrschers zu manövrieren.“

Ónytjungur: „Die Welt, das wirksame Geschenk, bietet auch die Möglichkeit, von Menschen vorübergehend als Irrenhaus genutzt zu werden. Um irgendeiner Sache willen.“

Aldavinur: „Schon gut, schon gut. Ich weiß Bescheid. So verwies zum Beispiel die generalisierte Eigenschaft Humanismus über die „Bill of Rights“ in die Reservate, über die Demokratie zur Guillotine, und da nicht ausreichend genug, übers Credo der Atombombe zum Clash of Civilisations.

Ónytjungur: „Dies geschah und geschieht im Augenblick, obschon im Gegensatz zu früher, als es noch keine Autos, Flugzeuge, Zeitungen, Radios, TV-Geräte und Internet gab, so dass Kinder betteln mussten ‚Papa, Papa, nimm mich mit ins Nachbardorf, ich will die Welt sehen‘, heutzutage die wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft bis zum Abwinken mit einer Informationsüberflutung überschwemmt wird, diese sich desinteressiert heilsuchend in Shows und sonstiger geistiger Unterforderung flüchtet.“

Aldavinur: „Nun, der durch Mehrheit bestimmte Zustand einer Republik lässt sich an jenem Geisteszustand messen, der durch tägliche Einschaltquoten dokumentiert. So wird zum Beispiel unter dem Wort Privatfernsehen ein Zeitgeist verstanden, in welchem heuchlerische Zyniker erbärmlichen Charakteren eingebildete Naivlinge zu präsentieren haben, da zum Einen ein ungeheurer Bedarf danach vorhanden, und zum Anderen sonst die Rechte der Aufklärung auf freie Meinungsäußerung, auf Pressefreiheit, und auf bedarfsgerechte Grundversorgung verletzt werden würden.“

Ónytjungur: „Der das Loch in den Schiffsbauch bohrte, verlangt nach der billigsten Schwimmweste.“

Aldavinur: „In einer Welt der Konsequenzen wähnt – in Hoffnung auf Inkonsequenz – der Mensch vorausschauend eine Welt der unbegrenzten Möglichkeiten, rückblickend eine Welt des reinen Zufalls, und nennt diese seine Sichtweise – Evolution.“

Ónytjungur: „Konnte ich dir deutlich machen, wie ich zu der Behauptung komme, die wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft sei sich darin einig, ihre eigene Totenmesse abzuhalten und was der Unterschied sei zwischen scheinbarer Welt und realer Welt?

Aldavinur: „Nun, es erinnert mich an jene Episode, welche über einen Würfel erzählt wird. Ein Tröll starrte ungläubig auf den silbernen, glänzenden Widerstand in seinen Augen, veränderte seinen Standort, erkannte die quadratische, räumliche schwarze Struktur, bewegte sich abermals, bemerkte verblüfft den auftauchenden weißen Kreis im Schnittpunkt der Diagonalen, sinnierte über den nun silbernen oder doch schwarzen Gegenstand mit seinem nun existenten oder doch nicht existenten runden Fleck in der Mitte, reiste von der Umgebung zur Sonne, schlenderte dem am Horizont verschwindenden Lichtstrahl entlang, von Quanten zu Quanten hüpfend, prallte auf die offensichtlich gegenständliche Oberfläche, glitt in bestimmten Winkel auf die Netzhaut, wühlte sich ins spiegelnde Gehirn und erkannte sich erinnernd einen schwarz bemalten Würfel aus Holz. Der Tröll, da nunmal auf Reisen, rammte sich durch dessen Oberfläche, puhlte sich zwängend durch drückende Molekülkugeln, betatschte verinnerlicht zärtlich Atome, setzte sich rapide schrumpfend auf das winzige Elektron, umkreiste den kaum noch sichtbaren, weit entfernten Kern, fühlte seine plötzliche dunkle Einsamkeit in der entleerten Natur, rutschte panisch aus dem Würfel, grabschte kurzentschlossen nach ihm und irritierte den Barkeeper: Würfeln wir einen aus?

Ónytjungur: „Was willst du mir damit sagen?“

Aldavinur: „Da es keine Wege gibt, auf denen sich nichts erfahren ließe, wäre jede Vorschrift über erlaubte und unerlaubte Wege Ausprägung vorhandenen Unwissens, gibt es doch nur nützliche und nutzlose Wege, und wer könnte da wissen, wo doch Nutzen nur Nutzen sein kann, wenn durch ihm kein Schaden bedingt, und auch jeder Weg nur ein einziges Mal begangen wird, da er danach für niemandem mehr begehbar wurde.“

Ónytjungur: „Ich verstehe nur Bahnhof.“

Aldavinur: „Ich will dir damit sagen, dass ich über keinerlei Antworten verfüge. Ich wäre schon froh, wenn es mir gelänge, die richtigen Fragen zu stellen. Magst du mit mir ein Lied singen??

Ónytjungur fasste Aldavinur bei der Hand, beide tanzten einen Reigen auf ihrem Stein und sangen dazu das Lied über die Weisheit:

Wollte sie sich
beschreiben,
sie beschriebe sich
als zwangseingewiesener
Patient,
auf Krücken
durch Korridore
einer Irrenanstalt
humpelnd,
und nicht
als deren
Psychiater.

Wäre ich weise,
oder wenigstens intelligent,
ich befände mich nicht
an jenem Ort
zwischen Traum und Wachsein,
vom Schlaf in den Tag flüchtend,
und vom Tag in den Schlaf.

Der kurze Weg von der Idee zur regelbasierten Unordnung namens Dogma

Venja: „Wilkommen Athugandi, du hast Neues auf deinen Reisen dir erfahren und weißt Neues zu berichten?“

Athugandi (Beobachter): „Nur das Übliche, die Evolution von trial-and-error ist weiter fortgeschritten.“

Venja: „Versuch und Irrtum? Wie kommt’s? Hat die wissenschaftsbasierte Informationsgesellschaft keine Wende herbeigeführt?“

Athugandi: „Das Gegenteil ist zu berichten. Du kennst ja den Grundsatz ‚Garbage in, garbage out‘. Offensichtlich gehört dieser Grundsatz zu den anthropologischen Konstanten.“

Venja: „Es gibt Ausnahmen. Ich finde hier Müll unter zahllosen Steinen. Offensichtlich ist den Touristen es zwar nicht zu beschwerlich, schwere Rucksäcke zu tragen, hingegen zu beschwerlich, leichte Rucksäcke zu tragen, welche nur noch leere Verpackungen enthalten. Sinnlos, die Gründe hierfür verstehen zu lernen.“

Athugandi: „ „Möglicherweise sind diese dazu unfähig, jene Begriffe zu verstehen, zu denen ein Gegensatz gebildet wurde.“

Venja: „Womit sich die Frage stelle, ob es sein kann, dass diese Gattung nicht hat, was ihrer Natur nach gehabt werden könne, also auch dann, wenn es für diese Gattung prinzipiell ausgeschlossen sei, das Fehlende zu haben …“

Athugandi: „… oder etwas zwar theoretisch haben könnte, es jedoch artbedingt oder individuell nicht hat.“

Venja: „Möglich wäre auch, dass sie dies etwa aus irgendeinem Grund nicht hat,  obwohl sie von Natur aus dazu geeignet wäre, das Fehlende in dieser Hinsicht zu haben.“

Athugandi: „Nun ja, dafür gibt es ja das Werden. Ich darf zitieren: Was aber wird, das wird alles durch etwas, aus etwas und zu etwas. Zu etwas meine ich im Sinne jeder Kategorie: Substanz, Quantität, Qualität, Ort. Natürlich heißt dasjenige Geschehen, wo sich ein Entstehen aus der Natur heraus vollzieht. Dabei ist das, woraus etwas wird, das was wir Materie nennen; das, wodurch etwas wird, ist irgend ein von Natur Gegebenes; das, wozu etwas wird, ist ein Mensch, eine Pflanze oder sonst etwas derartiges, was man vorzugsweise als selbständige Wesen bezeichnet.“

Venja: „Sie brechen jetzt- so ist zu hören –  in eine neue Ära der Menschheit auf, in der sie die Möglichkeit haben könnten, sich gegen den Einschlag eines Asteroiden zu schützen.“

Athugandi: „Wird der Einschlag nicht erst in einigen hundert Jahren erwartet? Wer oder was schützt diese Spezies bis dahin vor sich selbst?“

Venja: „Nun, es werden laufend Ideen entwickelt, wie dies gelingen könnte.“

Athugandi: „War bisher nicht zu beobachten, dass Ideen nur dann erfolgreich sind, sollte einer sie dazu verwenden, um daraus Dogmen zu schmieden?“

Venja: „Nun, Dogmen sind das Geglaubte, Gemeinte, Beurteilte und Beschlossene, wie Du weißt. Es blüht der Geist erst auf, wenn er beginnt, anderen etwas vorzuschreiben.“

Athugandi: „Wird mit Idee nicht etwas bezeichnet, was gesehen werde und einen bestimmten Eindruck mache?“

Venja: „Wenn dem so ist, dann hinterlässt offensichtlich nur Eindruck, was beschränktem Geist auch zuträglich. Dies würde allerdings den Fortschritt von der Idee über die Ideologie zum Dogma plausibel erklären, die Notwendigkeit einer regelbasierten Unordnung als anthropologische Konstante.

Athugandi: „Das Problem beginnt bereits bei der verwendeten Sprache.“

Venja: „Wie meinen?“

Athugandi: „Ich darf dich an die hierzulande übliche Vierteilung hugtak, skilgreining, vísimið und iðorð  erinnern? Nun, wie wir beide wissen, folgte anderenorts in der Geschichte der Schlamperei bei der Interpretation von Texten die Schlamperei bei der Übersetzung von Worten und Texten, daraufhin die Begriffserweiterung und Begriffsverengung, anstelle hierfür neue signifikante Ausdrücke zu entwickeln. Obendrein schmuggelten die Interpreten klammheimlich nur zu gerne auch noch eigenen Senf hinzu.“

Venja: „Nun, bereits vor mehr als 2000 Jahren wurde darauf hingewiesen, dass es zu einem Wort mehrere Bedeutungen gäbe, je nachdem, wie das Wort gebraucht werde.“

Athugandi: „Wirklich? Willst du mir etwa sagen, dass Wittgenstein abgeschrieben habe? Ist es nicht Aufgabe der Wissenschaft, Identität, Gleichheit und dergleichen, sowie die Gegensätze davon zu bestimmen?“

Venja: „Nun, es sind dort Dialektik und Sophistik, welche sich um das Reich der Objekte  und Gegenstände drehen. Es ist davon zu lesen, dass bei der einen die Richtung den Unterschied mache, welche das Erkenntnisvermögen einschlage, bei der anderen sei es das Lebensziel, welches sie sich stecke. Die Dialektik sei nur eine bloße Übung der Erkenntniskräfte an den Gegenständen, die Sophistik treibe hingegen die Wissenschaft nur zum Schein und sei daher keine wirkliche Wissenschaft.“

Athugandi: „Es steht auch geschrieben, dass im Falle,  ein Wort habe unendlich viele Bedeutungen, dann es offenbar gar keinen Sinn mehr mache, denn nichts Bestimmtes bedeuten heiße überhaupt nichts bedeuten, und wenn die Wörter nichts bedeuten, so ist damit das Sprechen der Menschen unter einander aufgehoben und in Wahrheit auch das Selbstgespräch. Denn es ist unmöglich zu denken, wenn man nicht etwas Bestimmtes denke. Solle dies aber weiterhin möglich sein, so müsse für die bestimmte Sache auch der entsprechende Ausdruck gesetzt sein. Du kennst ja hinlänglich meine Vorerkrankung, welche dazu führte, laufend Selbstgespräche führen zu müssen.“

Venja: „Ist mir bestens bekannt. Es sei also, wie wir beide zu Anfang gesagt haben: das Wort habe eine bestimmte und zwar eine einheitliche Bedeutung.“

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Athugandi: „Nun, wie wir beide wissen, bietet die Lyrik, das Gedicht, erfreulicherweise ausreichend Medizin für jene, welche an Ideologien und Dogmen zu leiden haben. Verhält es sich doch so, dass die Lyrik völlig untauglich, hieraus Ideologien und Dogmen schmieden zu können. Als Entschädigung dafür eröffnet sie dem Leser den Raum für freie Assoziationen, welche die Erkenntnisfähigkeit  nicht eindämmen, sondern erweitern. Magst Du mit mir ein Lied anstimmen?

Venja fasste Athugandi bei der  Hand und beide tanzten einen Reigen auf ihrem Stein.

(20) Gráðugur halur,
nema geðs viti,
etur sér aldurtrega.
Oft fær hlægis
er með horskum kemur
manni heimskum magi.
1)

(20) Habgierig schlüpfrig
und ohne Acht
erfrisst er sich Ärger,
oft erntet Spott
wer zu anderen kommt
mit eines dummen Menschen Ranzen.

1) „Hávámál og Völuspa“, Gísli Sigurðsson, Svart á Hvítu, Reykjavik 1986