Seifenblase

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Die Trolle Viturmaður und Barn saßen östlich von Sveinstindur auf einem Stein, und warfen kleine Kieselsteine in den Langisjór.

Barn: „Ich muss dir erzählen, was ich heute gesehen habe, unten in Kirkjubæjarklaustur. Ein Kind vermischte in einem Glas Seife mit Wasser, nahm einen Strohhalm und pustete in die entstandene Seifenlauge.“

Viturmaður: „Es entstanden Seifenblasen.“

Barn: „Jede Seifenblase grenzte sich von der anderen durch eine dünne Haut aus Wasser ab. Es gab unterschiedlich große und kleine Seifenblasen. Auch waren alle nicht gleich rund, aber irgendwie schon ähnlich. Gelegentlich löste sich die trennende dünne Haut zwischen zwei Seifenblasen auf, und es entstand eine einzige, größere Seifenblase. Auch entstanden aus Seifenblasen wieder neue Seifenblasen.“

Viturmaður: „Kenne ich.“

Barn: „Schon nach kurzer Zeit erkannten die Seifenblasen, und die eine oder andere Seifenblase begann über wichtige Dinge nachzudenken, ihre Gedanken und Erkenntnisse anderen mitzuteilen. Das Glas füllte sich mit abertausenden Informationen, was zum Beispiel zu tun wäre, damit die aus Wasser bestehende dünne Haut einer Seifenblase schöner werden würde, wie man verhindern könnte, dass man vor der Zeit platzt, oder dass aus zwei Seifenblasen eine Seifenblase wird, oder dass aus einer Seifenblase mehrere Seifenblasen entstehen. Andere Seifenblasen zerbrachen sich den Kopf darüber, ob es gut oder schlecht sei, wenn aus zwei Seifenblasen eine Seifenblase wird, bzw. dass aus einer Seifenblase weitere Seifenblasen entstehen. Andere, ebenso vernunftbegabte Seifenblasen beschäftigten sich mit dem Problem, dass sie ihrer Ansicht nach nicht genug Platz hätten, vereinigten sich mit anderen Seifenblasen, stemmten sich mit vereinten Kräften gegen jene Seifenblasen, die ihnen den Platz streitig zu machen schienen, machte jemand nicht mit, oder sah es danach aus, als würde er nicht mitziehen, so zerdrückten sie ihn und teilten seine dünne Haut unter sich auf.

Viturmaður: „Das ist üblich.“

Barn: „Intelligente Seifenblasen kamen überein, dass man eine Grundlage benötige, um zu verstehen, was hier vor sich gehe. Sie teilten das Wahrnehmbare in Einheiten, bestimmten ein Davor und Danach, sie entwickelten Systeme und Logiken, die vergleichende Aussagen erlaubten.“

Viturmaður: „Sehr klug.“

Barn: „Manche Seifenblasen waren gelähmt vor Angst, da sie befürchteten, sie würden nicht groß werden wie die anderen, große Seifenblasen hatten wiederum Angst, sie würden kleiner werden, und versuchten, dies mit allen Mitteln zu verhindern. Hier und dort war eine Seifenblase traurig über ihre Situation, manche zerstörte sich deswegen sogar selber. Andere Seifenblasen waren der Ansicht, sie kämen zu kurz, sie bekämen nicht, was ihnen zustehen würde, beklagten sich lauthals darüber, schmollten, oder strampelten sich ab, damit andere Seifenblasen diesen Zustand endlich korrigieren.“

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Viturmaður: „Verständlich.“

Barn: „Die intelligentesten Seifenblasen beobachteten nun das Geschehen anhand dieser Systeme und Logiken, entwickelten diese weiter, analysierten als Seifenblase die dünnen Häute der Seifenblasen, den Innenraum der Seifenblasen, leiteten Formeln und Erklärungsmuster ab, für das Innenleben der Seifenblasen, für den Raum, der die Seifenblasen enthielt, für das Geschehen, das beobachtet werden konnte, bestimmten Zeit, da sie sahen, dass es einen Beginn und ein Ende für eine Seifenblase gab, es Seifenblasen vor ihnen gab, die es nun nicht mehr gibt, und Seifenblasen aus dem Nichts entstehen, da es diese im Augenblick noch nicht gibt, aber aller Wahrscheinlichkeit nach noch geben wird.“

Viturmaður: „Vernünftig.“

Barn: „Andere Seifenblasen wiederum kümmerten sich nicht mehr um all dieses, sie vertrieben sich daher die Zeit damit, sich mit anderen Seifenblasen über die Farbe von dieser oder jener Seifenblase lustig zu machen, da sie ihnen als ‚schräg‘ galt, und einer anderen Seifenblase nachzulaufen, deren Farbe als ‚geil‘ angesehen wurde.“

Viturmaður: „Nachvollziehbar.“

Barn: „Plötzlich war Stille. Und alle Seifenblasen fielen in sich zusammen. Vereinigten sich zu einer grauen, schmierigen Brühe, dicht an dicht, zu einer homogenen Masse, ohne trennende dünne Haut, ohne schillernde Farben, bewegungslos vereint, schwappten sie im Glas – als träge Seifenlauge. Dem Kind, das mit leuchtenden Augen diesem lustigen, farbenfrohen, bewegten, lebendigen Treiben zugesehen hatte, war die Puste ausgegangen.“

Viturmaður: „Habe ich auch schon mal beobachtet.“

Barn: „Nur eine winzige Seifenblase klebte noch verzweifelt am Glas, blickte – schon das nahe Ende spürend – dem Strohhalm entlang zum Mund des Kindes, das gerade dabei war, seine Lungen wieder mit Luft aufzufüllen.“

Viturmaður: „Hast du Seife, Wasser und ein Glas hier? Ich möchte spielen.“

Viturmaður und Barn pusteten in ihr Glas und summten dabei:

Heilkundig weise,
der den Lebensweg
des Menschen gut erkennt.
Weil weiser Menschen Herz
kaum zu entzücken sei,
wenn es allwissend wird.

(Hávamál, Vers 55)

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