Sendandi erreichte im Tungurdalur seinen Freund þiggjandi am Ende des Pfades, welcher entlang des Bunárfoss den Berg hinaufführt.
þiggjandi: „Willkommen zuhause. Wie war dein Skiurlaub? Alle Knochen noch heil?“
Sendandi: „Stelle dir vor, du schickst ein Weihnachtsgeschenk mit der Post dort unten, bezahlst für diese Leistung mit deinen mühsam erworbenen isländischen Kronen, erwartest du dann, dass für das Entgelt dein Weihnachtsgeschenk auch ankommt, dass die Leistung erbracht wird und dein Päckchen an den Empfänger ausgeliefert wird und dieser das Weihnachtsgeschenk erhält?”
þiggjandi: „Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wird für eine Leistung bezahlt, so ist diese auch zu erbringen. Ich muss mir deswegen keinen Kopf machen, denn Posturinn dort unten ist ein seriöses und verantwortungsbewusstes Unternehmen. Warum erzählst du mir das? Hast du keinen Friseur? Das ist doch allen längstens bekannt.”
Sendandi: „Offensichtlich hat sich diese Selbstverständlichkeit aber noch nicht überall herumgesprochen. Verhält es sich nicht so, dass mittlerweile jeder Postversand elektronisch erfasst wird, teilweise sogar vollautomatisch bearbeitet, demnach die Post zu jeder Zeit nachweisen kann, wann und wo ein Päckchen bearbeitet wurde?”
þiggjandi: „So ist es. Seit dem Zeitalter, in welchem Päckchen mit Postkutschen transportiert wurden, hat sich vieles geändert. Dein Päckchen ist demnach nicht angekommen? Nun ja, was ist zu erwarten von Wesen, welche einen Fortschritt darin sehen, dass sie keinen Schlüssel mehr umzudrehen brauchen, um die Tür ihres Autos zu öffnen oder zu schließen. Sie nehmen ja auch klaglos hin, dass ihre Arbeitgeber trotz Einsatz einer vollautomatischen Lohnabrechnung und vollautomatischem Zahlungsverkehr geschlagene zwei Wochen benötigen, um den Lohn oder das Gehalt dem Mitarbeiter auf sein Bankkonto zu überweisen. Dort unten gibt es ein Gesetz, welches die Arbeitgeber verpflichtet, dass Lohn und Gehalt am ersten Werktag des Folgemonats dem Mitarbeiter auf seinem Bankkonto gutgeschrieben sein muss.“
Sendandi: „Jæja, ich kann mich noch lebhaft daran erinnern, als ich als 12-jähriger in den Schulferien bei einem Bauunternehmer in einem Ferienjob arbeitete. Jeden Samstag hatte ich mit einem Taschenrechner die Lohnabrechnung für die Bauarbeiter durchzuführen, Bruttolohn, Sozialversicherungsbeiträge, Lohnsteuer, Nettolohn. Der Unternehmer eilte währenddessen zur Bank, um das Geld für den Wochenlohn zu holen, welchen die Sekretärin dann mitsamt dem Lohnstreifen in die Lohntüte packte, denn Punkt 12 Uhr Mittag standen die Bauarbeiter vor dem Fenster Schlange, um ihr Bares für Wahres abzuholen. Hast du eine ungefähre Vorstellung davon, wie die Sache ausgegangen wäre, hätte ich die Lohnabrechnung nicht bis spätestens 12 Uhr Mittag fertiggestellt und damit die Lohnauszahlung verhindert?“
þiggjandi: „Jæja, Zeiten ändern sich.“
Sendandi: „Was würdest du dazu sagen, sollte ein Päckchen für den Transport bei einer Entfernung von – sagen wir mal 500 km – sage und schreibe vier Wochen benötigen?”
þiggjandi: „Dass wohl eine Postkutsche durch einen Esel ersetzt worden ist. Bei 28 Tagen müsste ein Esel ungefähr pro Tag 18 km zurücklegen, das dürfte für einen Esel zu schaffen sein. Was soll die Frage? Posturinn benötigt für diese Entfernung von Isafjörður nach Kevlavík gerade mal einen Tag. Sollte das Päckchen in das Ausland transportiert werden, ist dabei sogar die Zollabfertigung inbegriffen.”
Sendandi: „Meine Rede handelt auch nicht von Posturinn dort unten. Was würdest du dazu sagen, dass du im Falle, das Päckchen wurde bei dem Transport gestohlen oder sei sonstwie abhanden gekommen und du dafür Abhilfe verlangst, dafür ausgelacht wirst, wolltest du einen Diebstahl bei der Polizei zur Anzeige bringen und von der Post dein Entgelt zurückverlangen, da dieses Ansinnen von Regierung, Behörde und Staatsbürgern als nicht normal angesehen wird?”
þiggjandi: „Dass es sich dabei wohl um gesegnete Ignoranten handeln dürfte, welche solcherlei Erfahrungen dem allgemeinen Lebensrisiko zuordnen. Wie kann es eigentlich zu solchen Ereignissen kommen? Es verhält sich doch mittlerweile so, dass jeder Postversand elektronisch erfasst und teilweise sogar vollautomatisch bearbeitet wird, demnach die Post jederzeit nachweisen könne, wann und wo ein Päckchen bearbeitet wurde und verschwand.”
Sendandi: „Nun, das ist zweifellos zutreffend. Allerdings verhält es sich in jenem Land so, dass diese Informationen nur dann herausgegeben werden, wenn der Absender dafür einen nicht unerheblichen Betrag extra bezahlt. Mit einer weiteren Extrazahlung würde ihm auch der Schaden ersetzt werden, welcher dem Absender durch den Verlust des Inhalts entstanden ist.”
þiggjandi: „Du willst mir erzählen, dass ich dort einen Diebstahl oder Verlust ohne Erstattung meines Verlustes und Rückerstattung meiner Bezahlung für eine nicht erbrachte Leistung hinzunehmen habe, sollte ich zwar für die Leistung nur die üblichen 16 € bezahlt haben, nicht jedoch 30 € für eine zusätzliche Versicherung und eine Sendungsverfolgung? Wie kommt´s? Die haben doch ohnehin alle Nachweise und sind auch verantwortlich für den Verlust, so dass es eine Selbstverständlichkeit wäre, bei dem Kunden für eine nicht erbrachte aber bezahlte Leistung in vollem Umfang geradezustehen?”
Sendandi: „Vermutlich handelt es sich bei der zusätzlichen Zahlung von 14 € um eine Art Schmerzensgeld für die Post, da diese damit ihre Empathie für Diebe und Schlamperei in den eigenen Reihen hintanstellen muss.”
þiggjandi: „Wohl eher dafür, die Esel zu mästen, welche diese Praxis eingeführt haben. Verhält es sich doch so, dass selbst bei Gemeinschaften, welche von der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft einst irrtümlich primitive Völker genannt wurden, es eine Selbstverständlichkeit war und ist, für eine bezahlte Leistung die Leistung auch zu erbringen und Dieben keinerlei Privilegien zu gewähren.”
Sendandi: „Nun, diese Naturvölker haben ja auch nach Ernst Haeckel keinen Evolutionsprozess durchlaufen, der eine Höherentwicklung darstelle, womit es sich bei diesen Völkern nur um lebende Fossilien handle, welche aus verschiedenen Gründen stehengeblieben seien. Ich hoffe doch, dass du nicht das Grautier meinst, welches in vielen Ländern zuverlässig seine wertvolle Arbeit verrichtet?”
þiggjandi: „Darauf kannst du wetten, dass ich nicht dieses Grautier meine.”
Sendandi: „Na, dann steht ja nichts im Wege, jenen Eseln, welche diese seltsame Praxis einführten und klaglos hinnehmen, ein kleines Liedchen zu gönnen. Magst du?”
þiggjandi fasste Sendandi bei der Hand und beide tanzten einen Reigen auf dem Stein:
(20) Habgierig schlüpfrig
und ohne Acht
erfrisst er sich Ärger,
oft erntet Spott
wer zu anderen kommt
mit eines dummen Menschen Ranzen
(20) Gráðugur halur,
nema geðs viti,
etur sér aldurtrega.
Oft fær hlægis
er með horskum kemur
manni heimskum magi. 1)
1) Anm.: Vers 20, „Hávámál og Völuspa“, Gísli Sigurðsson, Svart á Hvítu, Reykjavik 1986