Die Krux mit der Grammatik

Es steht wohl mittlerweile außer Zweifel, dass sich alle Lebewesen stets auf die eine oder andere Weise unterhielten. Der Fortschritt der Untersuchungen ist bereits weit fortgeschritten und es liegen nun auch Berichte namhafter  Wissenschaftler  vor, welche die Kommunikation auch bei  Walen, Tintenfischen, etc. nachweisen.

Es wurde auch längst festgestellt, dass Lebewesen Zeichen nichtverbaler Form zur Kommunikation entwickelten, zum Beispiel die nicht übersehbaren  Markierungen der Gattung Hund, mit welchen diese ihr Revier markieren.  Doch es ist nicht nur die Gattung Hund, welche mit nonverbalen Zeichen kommuniziert und es fanden sich bei anderen Tiergattungen bereits fortschrittlichere Formen als jene, einfach ein Bein zu heben.

Auch das Ereignis, dass Gattungen in Verbänden zur Zusammenarbeit neigen, um Probleme zu lösen, welche sie als einzelnes Individuum nicht lösen könnten, ist hinlänglich bekannt, vom Wolfsrudel bis zu den Orcas, welchen es erst gemeinsam gelingt, eine auf eine Eisscholle geflüchtet Robbe wieder herunter zu schubsen.

So ist es nicht verwunderlich, dass auch die Gattung Homo sapiens eines Tages die Idee entwickelte, ihre verbale Kommunikation, also die Laute, auf Schriftzeichen zu übertragen, sich darüber zu einigen, welches Schriftzeichen welchem Laut entspreche und welche Zusammensetzung von Schriftzeichen welche Bedeutung habe, womit die Wiege sowohl für Information, als auch für Poesie und Meinungsfreiheit gelegt.

Jedoch ist auch für jedermann  nachvollziehbar, dass Worte alleine nicht genügen, um eine Aussage zu formen, solcherart Zusammenrottungen einmal ausgenommen, welche im übelsten Fall nur das Wort „Feuer!“ benötigen, um mitzuteilen, dass dieser Mensch da nun exekutiert werden solle, oder auf der anderen Seite jene Bergsteiger, welche beim Klettern in den Bergen „Egon!“ rufen, um den Kletterkameraden vor Steinschlag zu warnen.

Was notgedrungen dazu führte, eine Vereinbarung dahingehend zu treffen, dass auch Zusammenhänge mitgeteilt werden können, womit auch die Geburtsstunde der Grammatik geschlagen hatte.

Sollte es jemals so etwas wie eine „Schwarmintelligenz“ gegeben haben, dürfte diese wohl in den  Ausgestaltungen der diversen Grammatiken der unterschiedlichsten Gemeinschaften liegen, welche sich damals vermutlich auch nicht über die hierzu erforderliche Konstruktion dieser oder jener Grammatik austauschten, da voneinander nichts wissend. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass diese vom Interesse geleitet war, welche Zusammenhänge denn nun von allgemeinem Interesse wären und welche nicht. Im Groben ließe sich dazu feststellen, dass über alle Völker mehr oder weniger ein Interesse daran vorhanden war, Fragen von Antworten zu unterscheiden, zeitliche Abfolgen darzustellen, den Objekten Eigenschaften zuordnen, Schlussfolgerungen aufstellen zu können, und was da noch so an gemeinsamem Interesse mehr vorhanden.

Bei all diesen Konstruktionen stolperte man mehr oder weniger genussvoll über den sogenannten „Genus“, will sagen „Gattung“ oder „Geschlecht“, so als ob „Gattung“ und „Geschlecht“ synonym wäre. Naja, die Griechen vermutlich mal wieder.  Nun wäre dieser winzig kleine Partikel in den diversen Grammatiken keineswegs erwähnenswert, da die meisten der seitdem „maskulin“ und „feminin“ genannten Wörter ohnehin gar kein biologisches Geschlecht aufweisen – oder kenne da womöglich doch einer das Geschlecht von Stein und Erde -, in einigen  Genus-Systemen die Zuordnung der Genera zu den Substantiven sogar gleich vollständig unerheblich war  und daher zum Beispiel mit dem Füllsel „the“ ausgefüllt  wurde, aber – was soll‘s.

Die kyrillische Schrift verzichtete gleich vollständig auf den Artikel und löste das Problem, indem der letzte Buchstabe eines Nomens den Genus bestimme: war es ein Konsonant, dann war das Objekt maskulin, war es der Vokal „a“, dann war es der Genus „feminin“. Das heißt, nicht vollständig: So wird der Kompaniefeldwebel im Russischen „старшйиа“ („starschina“ mit scharfem „s“ zu Beginn, stimmhaften „sch“ in der Mitte und Betonung in der letzten Silbe mit „a“) genannt, allerdings trägt dieser auch den Titel „Mutter der Kompanie“.

Im Deutschen wurde noch das Neutrum hinzugenommen, allerdings auch nicht unbedingt sehr konsequent. Dem Frosch wurde der maskuline Genus zugewiesen (vermutlich handelt es sich seitdem bei dem lauten nächtlichen  Quaken um den Protest der Fröschinnen) , die Schwalbe wurde feminin (seltsam, hat sich schon eine Schwalbe darüber beschwert?), die Kuh und der Ochs waren zufrieden (der Ochs?) und dem Schaf  war das alles einerlei.

Im Arabischen war man gewillt, unterscheiden zu können, ob sich da nur Männer zusammenrotteten, nur Frauen sich ein Stelldichein gaben, oder es sich um eine Mischpoke handelte.

Noam Chomsky, mittlerweile emeritierter Professor für Linguistik am Massachusetts Institute of Technology (MIT),  der großes Interesse an Sprachwissenschaft zeigte, verknüpfte dann die Wissenschaftsdisziplinen Linguistik, Kognitionswissenschaft und Informatik im Rahmen seiner Untersuchungen von formalen Sprachen zu einem Versuch einer Universal-Grammatik. Nun denn, damit waren der Compiler und die Automatentheorie geboren, welche heute die Grundlage bilden für  so manchen groben Unfug, welcher einem so im Laufe des Lebens an diesen neuen Geräten zur Kommunikation angeboten werden, wie zum Beispiel dieser Text. Nichts als Algorithmen, an welches Gerät sich einer auch aus Not oder Interesse an Entertainment wenden mag. Was die Frage aufwerfe, wie denn nun den Algorithmen beizubringen wäre, diesen Genus korrekt abzubilden und dies noch mittels der bescheidenen Mittel, welche dafür ausschließlich zur Verfügung stehen, der Null und der Eins.

Nun, wie wäre es damit, andere Erklärungsebenen zu bemühen, zum Beispiel die Feststellungen eines  alten Philosophen, welcher zwei Methoden anwandte, die analytische und die zusammensetzende Methode:

„Es scheint sich nun das Beseelte vom Unbeseelten vor allem durch zwei Dinge zu unterscheiden: Durch Bewegung und durch Wahrnehmung.“ [403b16]

Ein weiterer Philosoph griff diese Erkenntnisse auf, und entwickelte daraus drei Stufen auf Grundlage derer vorhandenen Funktionen, wobei die folgende Stufe auf den Funktionen der vorherigen Stufe aufbaue:  die vegetativen Gattungen, die tierischen Gattungen und die menschliche Gattung.  Die Funktion der vegetativen Gattungen beschränke sich auf das Wachstum, die Ernährung und die Zeugung. Die Funktion der tierischen Gattung  sei es, Einzelheiten wahrzunehmen und die willentlichen Bewegungen umzusetzen. Die Funktionsart der menschlichen Gattung, d.h. die Vernunft, werde aus der willentlichen Entscheidung erzeugt.

Wozu sollte sich folglich auf der Stufe drei sich einer darüber den Kopf zermartern, weil die alten Griechen noch nicht den Unterschied zwischen Gattung und Geschlecht kannten – Athene soll ja der Orestes-Sage nach dem Kopf des Zeus entsprungen sein -, und nun irgendjemand die steile These auf den Tisch knallte, es sei das sprachliche Element des Genus, welches unsägliches Unheil über die Menschen brächte und keineswegs deren Gesinnung, welche bekanntlich ja keineswegs aus dem Genus entstand – im anderen Fall hielten diese ja alle Frösche für Männer, alle Schwalben für Frauen und beim Schaf gäbe es weder das Eine noch das Andere – , kurz: sich mit dem Disput um korrekte und falsche Zuweisungen zu beschäftigen und damit wertvolle Zeit zu verlieren, die dazu geschaffen, zum Beispiel ein Gedicht von Sigurður Pálsson zu lesen, das von Erkenntnissen getragen wurde, wunderschön ins Deutsche übersetzt von Wolf Kühnelt, veröffentlicht im Jahr 1986 in der Ausgabe 143, 31. Jahrgang, Band 3 von „die horen“ (ISSN 0018-4942) :

Auf der Straße des Gedichts

Laß uns eine Spritztour machen
hinaus auf die Straße des Gedichts
Weg von hier ja weit weg
von der zitternden Einsamkeit in beißender Kälte
auf der leergefegten Hauptstadtbühne
dieser berstenden Kleinbürg
erhölle

Ich werde dich mit Worten streicheln
vor allem aber weg von hier
aus der Hölle der Konsumpflicht
der Apathie ewigen Widerkäuens
dem Gift der Zeitungssuppe

Ja laß uns einen Ausflug machen auf die Straße des Gedichts
Weg von der Schmeichelei der Unkritischen
Der Monotonie der Wortfaulen
Der Heuchelei der Sitzungssüchtigen
Selbstunterdrückten und sich selbst belügenden Unterdrücker

Weg von hier jetzt und sofort
hinaus auf die Straße des Gedichts
Brechen wir nach und nach alle Brücken ab
verlassen wir der Gletscherflüsse beständige Gefahren
Wandern wir zusammen auf dem Gedichtsweg
suchen wir und was wir finden
ist unser Fund und nicht
die vorgeschobene Wahrheit der Risikoscheuen

Weg von hier jetzt und sofort !
Von der Monotonie ungefährlicher Scheingefechte
Von der Monotonie selbstgefälliger Unveränderlichkeit
Von der Monotonie abgesicherter Wahrheitskommoden

Hinaus auf die Gedichtswege laß uns gehen
alles steht auf dem Spiel
Eigentum und Wissen und Programme
Kopf und Kragen

Aber vergiß nicht: das was wir finden
ist unser Fund“

besinnungs-los

Ljósmynd: Delphine & Thibault, www.omch.ch

Rasend auf geteerten Straßen
reißen Uhren uns entzwei
lassen uns den Tag durchrasen
fort vom Leben wie ein Schrei.

Hetzend, keuchend wie Maschinen
ducken wir uns jeder Macht
abends hinter den Gardinen
werden Träume umgebracht.

Müssen dieses, jenes haben
finden nie bei Neidern Ruh
sehen nicht die schwarzen Raben
schließen uns die Augen zu.

Schemen taumeln durch den Nebel
lallen blindlings ihren Wahn
lutschen gierig ihre Knebel
nichts begriffen, schon getan.

Jagend schieben sich die Zeilen
schwärzend auf ein Stück Papier
sollen kurz bei dir verweilen
zwischen Hast und Lebensgier.

Sehnen sich doch meine Hände
voller Sehnsucht nach den deinen
hören sich bis an ihr Ende
lauthals lachend lautlos weinen.

Meiner Lebensgefährtin in Dankbarkeit gewidmet, anläßlich unseres gemeinsamen 25. Hochzeitstages