Kognitive Dissonanz

troll-imadeWEB-1Ónytjungur: „Was gibt es Neues von der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft zu berichten? Die jüngsten Ereignisse hier verheißen nichts Gutes.“

Tilvera: „Die Zeit der Heroen ist endlich wieder angebrochen, die seit langem vermissten Dichter und Denker sind zurückgekehrt, erleben eine Renaissance.“

Ónytjungur: „Erfreulich, erfreulich. Du hast ihre Dichtung gelesen? Ist die Prosa gefällig?“

Tilvera: „Die eingesetzte Form der Prosa, obschon aufgewärmt, da dort schon einmal erfolgreich angewandt, findet nun immer mehr Anhänger, allerdings nennen sie diese dort nun Wissenschaft.“

Ónytjungur: „Ein Fortschritt. Sind es doch die Dichter, die Wissen besitzen, wie hier jeder weiß. Und was ist das Thema? Die Natur, die Liebe, der Mensch an sich, Innenleben, …?“

Tilvera: „Es dreht sich um Fragen des wahren Menschseins. Genau genommen um Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche oder Absichten. Sie nennen es Kognitionen.“

Ónytjungur: „Interessant. Ein weites Feld.“

Tilvera: „Genau genommen, ein sehr begrenztes Feld. Es geht nur um die Frage, was zu tun ist, ob einem Menschen, der vor Mördern flieht, um nicht ermordet zu werden, dabei Hab und Gut verlor, Obdach zu gewähren sei, oder nicht.“

Ónytjungur: „Wie kommt’s? Die Frage ist seit Menschengedenken längst geklärt, von Generation zu Generation, in allen Kulturen, und unwidersprochen. Was gibt es da noch zu reden?“

Tilvera: „Da gab es die denkend abwägenden Psychologen noch nicht. Diese sagen nun, dass handeln falsch sei, denn es müsse vorher erst denkend abgewogen werden. Denn werde gehandelt, ohne vorher denkend abzuwägen, wäre eine Realitätsverweigerung zu diagnostizieren, und die Ursache wäre ein pathologischer Charakter. Entstanden aus Unwissenheit, Gedankenlosigkeit, schierer Angst, die Dinge an ihr Ende zu denken, Selbstbetrug, einer mentalen Schwäche. Verantwortlich dafür seien sogenannte Gesinnungsethiker, die unerfüllbare Maximalforderungen aufstellten, und abstrakte Ideale wie eine Monstranz vor sich her trügen. So sei der abwägend Denkende nun notwendig geworden, der Möglichkeiten an der Realität abgleiche.“

Ónytjungur: „Da hat wohl einer nicht verkraftet, dass die Wirklichkeit nicht hinter dem Display blieb, welches sogar hier jeder Besucher in der Einöde vor seine Nase hält, sondern plötzlich vor dem Display auftauchte. Aber da war sie doch immer, wie du und ich wissen, nur hat das offensichtlich von denen keiner bemerkt. Was kein Wunder ist, wenn die Nase ständig am Display klebt, und damit Wahrnehmungen, Gedanken, Wünsche und Absichten auf jenes ausgerichtet, was hinter dem Display sichtbar, und nicht vor dem Display gegeben.

Tilvera: „Nun, die denkend abwägenden Psychologen sehen sich selbst als ein dem Untergang geweihter Indianerstamm im Amazonasgebiet, und beanspruchen daher, geschützt zu werden wie Tibeter in China. Sie sehen sich selbst als indigenes Volk, und beanspruchen daher Schutz gemäß Resolution 61/295, der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker.“

Ónytjungur: „Lass mich raten: da diese Dichter Psychologen sind, die sich für Wissenschaftler halten, reden sie dabei keineswegs von sich, sondern selbstverständlich über andere. Ist es nicht so, dass Psychologen einmal als Beruf entstanden, um ein konkretes Individuum, das entweder für sich selbst oder für andere eine Gefahr für Leib und Leben darstellt, mit geeigneten Methoden zu therapieren, wozu  sich vordem niemand kompetent erklärte? Was haben die nun mit dem Plural zu schaffen?“

Tilvera: „Das war, bevor die denkend abwägenden Psychologen der wissenschaftsbasierten Informationsgesellschaft eine kollektive kognitive Dissonanz diagnostizierten.“

Ónytjungur: „Und was ist eine kognitive Dissonanz?“

Tilvera: „Ein unangenehm empfundenes Gefühl, das dadurch entsteht, dass ein Mensch mehrere Kognitionen hat, die nicht miteinander vereinbar sind. Sie ist situationsbedingt, und ist abhängig von getroffener Entscheidung, Gewahrwerdung, oder Verhalten.

Ónytjungur: „Ist dir eigentlich aufgefallen, dass diese Definition sich auf Einzahl bezieht, also auf ein konkretes Individuum, du aber vorher von Mehrzahl sprachst, also einem Kollektiv? Hast du auf deiner langen Reise die Fähigkeit zur Sprache verloren, fehlten dir unsere Dichter?“

Tilvera: „Ich berichte dir nur wahrheitsgetreu, bin daher auch nicht dafür verantwortlich.“

Ónytjungur: „Das hört sich alles sehr komplex an. Du machst mich neugierig. Nach derzeitigem Stand der Wissenschaft ist nur möglich, dass das Ergebnis aus Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche und Absichten, das einer Person in ihrem  Leben als Summe widerfuhr, nur einzigartig sein kann, demnach nie mit einer anderen Person identisch. Du behauptest nun, dies sei nicht wahr.“

Tilvera: „Nicht ich bin es, der das behauptet. Ich bin nur derjenige, der davon berichtet. Wurdest du nie von einem Gefühl heimgesucht, dass du als unangenehm empfandst? Da du Unstimmigkeiten bei deinen Wahrnehmungen, Gedanken, Wünschen und Absichten entdecktest? Ich meine, bezogen auf deine Einstellungen und dein Verhalten.“

Ónytjungur: „Im Sommer jeden verdammten, langen Tag. Nicht aber im Winter.“

Tilvera: „Tatsächlich sind es aber nur fünf verschiedene Ereignisse, die zu einer kognitiven Dissonanz führen.“

Ónytjungur: „Dann könnte möglich sein, dass sogar ich es verstehe. Erzähl, nur keine Scheu!“

Tilvera: „Das Gefühl tritt zum Beispiel auf, wenn einer eine Entscheidung getroffen hat, obwohl die Alternativen ebenfalls attraktiv waren.“

Ónytjungur: „Mir ist ein solches Individuum schon begegnet. Es hatte sich für ein graues Auto entschieden, und war sein Leben lang totunglücklich darüber, dass es sich nicht für das rote Auto entschieden hatte. Oder der Mann, der eine Frau geheiratet hat, und dann … ich sehe aber keinen Zusammenhang …“

Tilvera: „Das Gefühl tritt auch auf, wenn einer eine Entscheidung getroffen hat, die sich als eine Fehlentscheidung herausstellte.“

Ónytjungur: „Auch das. Bei dem einen war aber die Ursache nicht die Farbe des Autos, sondern die Umgebung, die er damit aufsuchte, und bei dem anderen nicht die Ehefrau. Ich sehe immer noch keinen Zusammenhang …“

Tilvera: „Das Gefühl tritt auch dann auf, wenn einer gewahr wird, dass eine begonnene Sache anstrengender oder unangenehmer wird als erwartet.“

Ónytjungur: „Das stimmt. Der eine versuchte, mit seinem grauen Ford Fiesta die Krossa zu durchqueren, der andere jammerte darüber, dass seine Frau ihn vor die Alternative stelle, entweder wenigstens einmal in der Woche die Unterhose zu wechseln, oder auf kuscheln zu verzichten. Was hat das mit …“

Tilvera: „Das Gefühl tritt zum Beispiel auch dann auf, wenn einer große Anstrengungen auf sich genommen hat, nur um dann festzustellen, dass das Ziel den Erwartungen nicht gerecht wird.“

Ónytjungur: „Mir längst bekannt. Der eine schrie laut um Hilfe, in der Hoffnung, es höre einer die Hilferufe und eile herbei, denn das graue Auto war in der Krossa praktisch unsichtbar, wurde dadurch aber nur heiser, denn die Krossa war lauter, und der andere wechselte seine Unterhose, da war es aber schon zu spät, denn seine Frau war mittlerweile eingeschlafen. Du hast mir immer noch nicht gesagt …“

Tilvera: „Das Gefühl tritt zum Beispiel auf, wenn einer sich konträr zu seinen Überzeugungen verhält, ohne dass es dafür eine externe Rechtfertigung in Form von Nutzen bez. Belohnung oder Kosten bzw. Bestrafung gibt.“

Ónytjungur: „Auch das ist mir geläufig. Der eine war überzeugt, dass es in Italien Brücken gibt und warm ist, auch war er davon überzeugt, dass hier im Hochland Flüsse zu durchqueren sind, und er eigentlich ein geländegängiges Auto bräuchte, fuhr aber dennoch mit einem Ford Fiesta hierher, und der andere wechselte gegen seine Überzeugung jede Woche seines Lebens seine Unterhose, obschon es immer zu spät war. Was zum Teufel hat das alles damit zu tun, ob einem Menschen, der vor Mördern flieht, um nicht ermordet zu werden, dabei Hab und Gut verlor, Obdach zu gewähren ist, oder nicht?“

Tilvera: „Das Problem ist, dass dabei Einstellungen und Verhalten als widersprüchlich empfunden werden, und – da das Verhalten freiwillig geschah – eine körperliche Erregung eintrat, wofür dieses Verhalten verantwortlich ist.“

Ónytjungur: „Interessant. Gibt es eine Rettung aus dem, was da als Dilemma aufgefasst?“

Tilvera: „Die abwägend denkenden Psychologen gehen davon aus, dass dafür vier Schritte notwendig wären. Mit welchen der Schritte begonnen werde, sei unerheblich.“

Ónytjungur: „Als da sind?“

Tilvera: „Um das zugrunde liegende Problem zu lösen, wäre notwendig, den Blickwinkel zu ändern, damit neue Lösungswege erkannt werden können. Mit der Lösung verschwinde auch die Dissonanz.“

Ónytjungur: „Genial. Sobald die Menschen Kriegsflüchtlinge nicht für Kriegsflüchtlinge halten, die vor Mördern fliehen, um nicht ermordet zu werden, und dabei Hab und Gut verloren, eröffnen sich neue Lösungswege, die vordem ja deswegen nicht erkannt wurden, da ja noch die Kriegsflüchtlinge irrtümlich für Kriegsflüchtlinge gehalten wurden, die vor Mördern fliehen, um nicht ermordet zu werden, und dabei Hab und Gut verloren.“

Tilvera: „Ein anderer Schritt wäre, die Wünsche, Absichten oder Einstellungen aufzugeben.“

Ónytjungur: „Noch besser. Bieten die denkend abwägenden Psychologen auch Einrichtungen an, in denen sie Umschulungen anbieten, so dass Wünsche und Absichten, oder die Einstellung, Menschen Obdach zu gewähren, die vor Mördern fliehen, um nicht ermordet zu werden, und dabei Hab und Gut verloren, sich dahingehend verändern, diesen nicht mehr Obdach gewähren zu wollen?“

Tilvera: „Es wäre auch möglich, die körperliche Erregung zu dämpfen, was durch Sport, ausgleichende Aktivitäten, Ruhe, Vermeidung von vermeidbarem Stress, Meditation, aber auch durch Alkoholkonsum, Beruhigungsmittel, Tabak oder andere Drogen möglich wäre.

Ónytjungur: „Das bringt mich auf eine Idee. Gibt es nicht eventuell die Möglichkeit, an die abwägend denkenden Psychologen Gutscheine auszugeben, für das Fitness-Studio, oder Meditationskurse, oder Freibier bis zum abwinken? Immerhin würde dadurch erreicht werden, dass jene, die nicht von kognitiver Dissonanz befallen wie jene abwägend denkenden Psychologen, endlich von deren Geschwätz befreit werden, abwägend denkende Psychologen möglicherweise darüber sogar ihre Einstellung änderten, also eines fernen Tages Menschen in Not Obdach gewähren wollen.“

Tilvera: „Aber die abwägend denkenden Psychologen sind es doch nicht, die an kognitiver Dissonanz leiden, sondern jene, die Kriegsflüchtlingen Obdach gewähren, da die vor Mördern fliehen, um nicht ermordet zu werden, und dabei Hab und Gut verloren.“

Ónytjungur: „Soso, ist das so? Ist dir auf deinen Reisen schon einmal das Wort Gewissen begegnet?“

Tilvera: „Wo ich auch hin kam. Was aber hat das Wort mit kognitiver Dissonanz zu tun?“

Ónytjungur: „Nun, Gewissen ist das Gefühl der inneren Ruhe oder Unruhe, das in das Bewusstsein tritt, wenn eine vorgehabte, begangene oder unterlassene Tat im Einklang oder Widerspruch zu einem moralischen Grundsatz steht, der für eine Person verbindlich ist. Was wäre daraus zu schließen, ich meine, bezogen auf Psychologen, die dichten, da sie sich für Wissenschaftler halten?”

Tilvera: „Dass ein Esel ein Esel bleibt, auch wenn er eine Melone frisst?“

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Dissonance cognitive